Krieg im Gazastreifen Humanitäre Lage im Süden verschlechtert sich
Im Süden des Gazastreifens sind von den UN betriebene Notunterkünfte überfüllt. Kälte und Regen setzen den Menschen zu. Israel hat den Zivilisten im nördlichen Gazastreifen ein neues Zeitfenster für die Flucht in den Süden genannt.
Aus dem nördlichen Gazastreifen sind nach UN-Angaben seit dem 5. November weitere 200.000 Menschen in den südlichen Teil des dicht besiedelten Küstenstreifens geflohen. Im Norden kommt es zu heftigen Kämpfen israelischer Bodentruppen gegen militante Palästinenser, auch in der Umgebung von Krankenhäusern. Dort sitzen Patienten, Neugeborene und medizinisches Personal ohne Strom und mit schwindenden Vorräten fest.
Israel wirft der militant-islamistischen Hamas vor, Kliniken als Stützpunkte und Waffenlager zu missbrauchen. Die Hamas weist das zurück.
Kaum noch medizinische Versorgung in Nord-Gaza
Es ist unklar, wie viele Kliniken im nördlichen Gazastreifen den medizinischen Betrieb noch aufrecht erhalten. Laut dem UN-Nothilfebüro OCHA ist hier nur noch ein Krankenhaus in der Lage, Patienten aufzunehmen. Alle anderen hätten den Betrieb einstellen müssen und dienten nur noch als Zufluchtsort zum Schutz vor den Gefechten.
Zu letzteren zählt laut OCHA auch die größte Klinik des Gebiets, das Al-Schifa-Krankenhaus. Es ist von israelischen Truppen umstellt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilte hingegen mit, im Al-Schifa-Krankenhaus würden noch Patienten behandelt. "Für uns ist es wegen des heroischen Einsatzes des verbleibenden Personals ein funktionierendes Krankenhaus", sagte Margaret Harris, Sprecherin der WHO. Trotz Stromausfalls und Angriffen versuche das Personal der Klinik alles in seiner Macht Stehende, um die 600 bis 700 verbliebene schwer kranken Patientinnen und Patienten zu versorgen.
Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden im Al-Schifa-Krankenhaus inzwischen Dutzende Leichen in einem Massengrab beerdigt. Es sei mit der Bestattung von rund 180 bereits verwesenden Körpern sowie kürzlich gestorbener Patienten in einem der Innenhöfe der Klinik begonnen worden, teilte ein Sprecher mit. Außerdem seien 36 Neugeborene vom Tod bedroht, weil es für die nötigen Brutkästen keinen Strom gibt. Die Aussagen lassen sich bislang nicht unabhängig überprüfen.
Völlig überfüllte Notunterkünfte
Die von den UN betriebenen Notunterkünfte im Süden sind völlig überfüllt, im Schnitt kommt auf 160 Menschen eine Toilette. Insgesamt sind rund 1,5 Millionen Palästinenser, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung des Gazastreifens, aus ihrem Zuhause geflohen. Um an Brot oder abgestandenes Wasser zu kommen, stehen Menschen stundenlang Schlange. Müllberge türmen sich auf, Abwasser fließt mangels Strom für Pumpen durch die Straßen, aus Wasserhähnen fließt kein Wasser mehr.
Zuletzt verschlechterte sich das Wetter, Kälte und Regen setzen den Menschen zu. Zahlreiche Zelte seien eingestürzt, sagte Ikbal Abu Saud, die mit 30 Familienmitgliedern aus der Stadt Gaza geflüchtet war.
Kinder spielen mit Ballons in einer UN-Einrichtung.
Israel nennt neues Zeitfenster zur Flucht
Israel forderte die Zivilbevölkerung erneut auf, sich in sicherere Gebiete in den Süden zu begeben. Dafür nannte die Armee ein Zeitfenster. Der Fluchtkorridor bleibe zwischen 09.00 Uhr und 16.00 Uhr Ortszeit für humanitäre Zwecke geöffnet, teilte ein Sprecher der Armee auf der Plattform X, vormals Twitter, auf Arabisch mit. Dazu veröffentlichte er eine Karte mit der eingezeichneten Fluchtroute.
Zusätzlich könnten Zivilisten, die aufgrund der andauernden Gefechte an der Küste im Norden festsäßen, zwischen 10.00 Uhr und 16.00 Uhr Ortszeit zur Hauptstraße Salah Al-Din gelangen, hieß es. Von dort könnten sie sich in die Region südlich des Wadi Gaza begeben.
Zudem nannte der Sprecher zwei Viertel der Stadt Gaza, in denen es tagsüber eine humanitäre Kampfpause geben solle. Dies ermögliche den Menschen dort die Flucht in den Süden. Alle Zivilisten, die von der Terrororganisation Hamas an der Flucht gehindert würden, könnten sich per Telefon oder über die Plattform Telegram an die israelische Armee wenden, hieß es.
Israel meldet Waffenfund unter Klinik in Gaza
Zuvor war berichtet worden, dass israelische Soldaten nach Darstellung der Armee zahlreiche Waffen im Keller eines Krankenhauses in Gaza-Stadt gefunden hätten. Es gebe auch Anzeichen dafür, dass im Keller des Rantisi-Krankenhauses Geiseln festgehalten worden sein könnten, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari am Montagabend. Er sei selbst vor Ort gewesen und dabei von ausländischen Journalisten begleitet worden, so der Militärsprecher. Das Rantisi-Krankenhaus, das am Sonntag evakuiert worden war, ist spezialisiert auf die Behandlung krebskranker Kinder.
Chalil al-Haja, Führer der Terrormiliz Hamas, sagte dem Sender al-Dschasira, es handele sich um falsche Vorwürfe Israels. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Armee sieht Hinweise auf Geiseln
Zu Hinweisen auf einen möglichen Aufenthalt von Geiseln in dem Keller sagte Armee-Sprecher Hagari, es seien eine improvisierte Toilette, eine kleine Küche sowie eine Babyflasche gefunden worden. An der Wand sei ein handschriftlicher Kalender entdeckt worden, der die Tage seit dem 7. Oktober gezählt habe. Die Bilder zeigten zudem eine Sitzecke.
Auch ein Motorrad mit einem Einschussloch sei gefunden worden, daran ein Haarband, sagte Hagari. Es ähnele den Motorrädern, die bei den Massakern am 7. Oktober in Israel von Terroristen benutzt worden seien.
In unmittelbarer Nähe des Krankenhauses habe man außerdem einen mehr als 20 Meter tiefen Tunneleingang entdeckt. Man gehe davon aus, dass der Tunnel für militärische Zwecke genutzt worden sei.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.