Palästinenser-Gebiete Jubelgesänge für die Hamas
Die Terrororganisation Hamas kann das Abkommen mit Israel als Propagandaerfolg verkaufen. Sie sieht sich als Verhandlungspartner aufgewertet. Von vielen Palästinensern wird sie als Widerstandsbewegung gepriesen.
Khan Younis im Süden des Gazastreifens: Tahani al Najjar kniet in den Trümmern, die früher einmal ihr Haus waren. Unter Schutt, Decken und kaputten Möbeln findet sie vier Plastikbecher. Sie sind verstaubt, aber noch zu gebrauchen. "Es ist unbeschreiblich. Als wir gehört haben, dass es eine Feuerpause gibt, sind wir hierher zurück", sagt al Najjar. Wo ihre Familie nun aber unterkommen soll, weiß sie nicht. "Wir suchen nach etwas Holz, um uns daraus ein Zelt zu bauen. Es gibt nichts, wo eine Familie Unterschlupf finden könnte."
In den Unterkünften für Flüchtlinge gehen nach den Worten der 58-Jährigen Krankheiten um. Sie und ihre fünf Kinder haben also die Wahl zwischen Krankheit und Zerstörung. Zwischen den Trümmern findet al Najjar Decken und einige Kleidungsstücke. Es sei nicht das erste Mal, dass ihr Haus zerstört worden sei, erzählt sie. "Im Krieg 2008 wurde es zerstört, 2014 wieder und jetzt auch. Aber wir werden es wieder aufbauen, aus Hartnäckigkeit gegen die Juden. Lasst sie es zerstören, wir bauen wieder auf."
"Grüße an den Widerstand"
Stimmen wie die von al Najjar sind im Gazastreifen oft zu hören. In Interviews mit internationalen Nachrichtenagenturen loben viele Palästinenser den "Widerstand" - damit meinen sie den bewaffneten Kampf gegen die israelische Armee. Öffentlich gibt hier niemand der Hamas die Schuld für die Eskalation und die katastrophale humanitäre Lage der Menschen. Vielleicht aus Angst vor Repressalien der Terrororganisation, vielleicht aus Sympathie für deren Ziele.
Es ist Freitagabend in Bethlehem im besetzten Westjordanland. Jubelgesänge für die Hamas erklingen. Ein Krankenwagen bringt Fatima Shaheen nach Hause. Die israelische Armee hatte sie im April festgenommen, weil sie einen Soldaten mit einem Messer angegriffen haben soll. Durch den Gefangenenaustausch ist sie wieder freigekommen. "Ich kann gar nicht sagen, wie ich mich fühle", sagt Shaheen. Sie sei froh, wieder mit ihren Verwandten und allen, die sie lieben, zusammen zu sein. "Ich bin sehr glücklich, Teil dieses Deals zu sein. Meine Grüße an den Widerstand. Hoffentlich kommen alle Häftlinge frei."
Ähnliche Bilder kommen aus der Nähe von Ramallah. Entlassene jugendliche Häftlinge sitzen auf einem Autodach. Sie schwenken grüne Fahnen der Hamas, einer trägt ein grünes Stirnband. Hunderte Menschen feiern sie. Kritiker des Gefangenenaustauschs werden sich durch solche Bilder bestätigt fühlen. Anhänger der ultrarechten Parteien in Israel hatten davor gewarnt, palästinensische Häftlinge zu entlassen und ein Abkommen mit der Hamas zu schließen.
Wird die Hamas den Preis hochtreiben?
Die Terrororganisation kann den Gefangenenaustausch als ihren Erfolg verkaufen. Sie wurde aufgewertet als Verhandlungspartner und kann sich als Kämpfer für die Sache der Palästinenser präsentieren. Dass das verfängt, zeigen die Stimmen aus dem besetzten Westjordanland.
In der Nähe von Dschenin freut sich Latifeh Amarneh, dass ihre Tochter Fatima aus der israelischen Haft entlassen wird. "Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin. Ich vermisse sie so. Grüße und Dank an den Widerstand, ich liebe sie sehr." Ob solche Aussagen vor einer Kamera die eigene Überzeugung spiegeln oder den Erwartungen des Umfelds entsprechen, lässt sich schwer einschätzen.
Bisher hat Israel vor allem Jugendliche und Frauen aus den Gefängnissen entlassen. Viele saßen dort, weil sie sie Steine auf israelische Soldaten und Polizisten geworfen hatten. Schwerverbrecher wie Mörder waren bisher nicht darunter. Sollte es weitere Abkommen geben, könnte die Terrororganisation Hamas aber versuchen, den Preis hochzutreiben. Ihre Bedeutung würde das in den Augen vieler Palästinenser nochmal erhöhen.