Israel und die Hamas Wie geht es weiter?
Im Gazastreifen ist die lang erwartete Waffenruhe in Kraft getreten. Nun wurden auch erste Geiseln freigelassen - im Gegenzug lässt Israel palästinensische Gefangene frei. Was sind die nächsten Schritte?
Wird die Feuerpause eingehalten?
Die zwischen der militant-islamistischen Hamas und Israel vereinbarte Feuerpause ist offenbar mancherorts leicht verzögert angelaufen. Nach Angaben von ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann waren in Sderot nahe der nördlichen Grenze des Gazastreifens auch kurz nach Beginn der Waffenruhe zunächst vereinzelt Explosionen und Maschinengewehrfeuer zu hören.
Rund 15 Minuten nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe ertönten nach Angaben der israelischen Armee in mehreren Gemeinden entlang der israelischen Grenze zum Gazastreifen Sirenen, die vor ankommenden Raketen warnten. Die Hamas hatte jedoch eine "vollständige Einstellung der militärischen Aktivitäten" für vier Tage erklärt. Inzwischen scheint die Waffenruhe aber zu halten.
Was genau ist zwischen Israel und der Hamas vereinbart worden?
Insgesamt sollen laut Vereinbarung 50 israelische Geiseln im Gegenzug für 150 palästinensische Gefangene in Israel freigelassen werden, teilte Katar mit. Das Land hatte geholfen, das Abkommen zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. Bei allen Personen, die freikommen, soll es sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AP um Frauen und Minderjährige handeln. 13 der 50 Geiseln wurden am Freitag freigelassen. Zudem kamen zehn thailändische und ein philippinischer Staatsbürger frei. Zuvor hatte es geheißen, es seien zwölf Thailänder freigekommen.
Ein Funktionär der Terrororganisation Hamas sagte, die ausgewählten Geiseln seien israelische Staatsbürger, von denen manche eine zweite Staatsbürgerschaft hätten. Sie sollen während der Feuerpause nach und nach freigelassen werden.
Eine Verlängerung der Waffenruhe scheint nicht ausgeschlossen. Für die Freilassung von zehn zusätzlichen Geiseln will Israel die viertägige Feuerpause jeweils um einen Tag verlängern. Insgesamt hatten Terroristen im Oktober etwa 240 Geiseln aus Israel in den Gazastreifen verschleppt.
Wie erfolgte die Übergabe der ersten Geiseln an Israel?
Die ersten israelischen Geiseln wurden am Freitagnachmittag dem Roten Kreuz übergeben. 13 Personen seien der Hilfsorganisation übermittelt worden, berichteten israelische Medien übereinstimmend. Die Übergabe sei in einem Krankenhaus in Chan Junis im Süden des Gazastreifens erfolgt.
Am Grenzübergang Rafah warten israelische Sicherheitskräfte - begleitet vom Roten Kreuz, vom Roten Halbmond und Vertretern Ägyptens - auf die Freigelassenen, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.
Von dort sollen sie zum Flughafen al-Arisch gebracht und nach Israel ausgeflogen werden. Israelische Traumaexperten und Mediziner stünden ebenso bereit wie speziell ausgebildete Soldaten, die für die Sicherheit der 13 Israelis sorgen sollen.
Auch zehn Thailänder und ein Filipino wurden von der Hamas freigelassen. Zuvor hatte es geheißen, es seien zwölf Thailänder freigekommen.
Die thailändische Regierung bestätigte die Freilassung mehrerer ihrer Staatsbürger. Die Menschen würden in den kommenden Stunden von Beamten der Botschaft in Empfang genommen. Aus Hamas-Kreisen hieß es, die Geiseln seien am Grenzübergang Rafah ohne Bedingungen an die ägyptischen Behörden übergeben worden.
Was ist über die Geiseln bekannt?
Bei den 13 israelischen Geiseln handelt es sich um Frauen und Kinder. Sie sind entweder Israelis oder Bewohner Israels - einige haben offenbar eine doppelte Staatsbürgerschaft. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu veröffentlichte eine Namensliste der Freigelassenen. Darunter waren auch die Namen von vier Personen, deren Familien sie als Deutsche benannt hatten. Es soll sich um eine 34-Jährige sowie ihre beiden Töchter im Alter von zwei und vier Jahren sowie eine 77-Jährige handeln.
Näheres über ihr Schicksal dürfte wohl zunächst kaum bekannt werden. Das Militär rief die Öffentlichkeit und die Medien zu Geduld und Sensibilität auf. Psychologen gehen davon aus, dass besonders die Kinder nach sieben Wochen Geiselhaft schwer traumatisiert sein könnten.
Auch zu den elf freigelassenen Thailändern und dem philippinischen Staatsbürger gibt es bislang keine weiteren Informationen. Israelischen Medien zufolge waren die meisten der Geiseln im Kibbuz Nir Oz von Terroristen entführt worden.
Welche palästinensischen Gefangenen kommen im Gegenzug frei?
Es wird erwartet, dass Israel im Austausch zu den 13 freigelassenen israelischen Geiseln 39 palästinensische Gefangene aus der Haft entlassen wird.
Nach Angaben der palästinensischen Häftlingskommission geht es um 24 Frauen und 15 Jugendliche. Der Älteste sei 19 Jahre alt. Vor der geplanten Freilassung wurden am Freitag Häftlinge aus dem Damun-Gefängnis zu dem Ofer-Gefängnis zwischen Jerusalem und Ramallah gebracht, wie eine Sprecherin der israelischen Gefängnisbehörde bestätigte. Die Häftlinge sollen nahe ihrer Wohnorte im Westjordanland oder Ost-Jerusalem freikommen.
Die Nachrichtenagentur AFP zitierte ägyptische Sicherheitskreise, laut denen eine ägyptische Sicherheitsdelegation in Jerusalem und Ramallah anwesend sein wird. Sie soll demnach die Einhaltung der Liste der freizulassenden palästinensischen Gefangenen sicherstellen.
Nach Angaben der palästinensischen Häftlingskommission geht es um 24 Frauen und 15 Jugendliche. Der Älteste sei 19 Jahre alt. Vor der geplanten Freilassung wurden am Freitag Häftlinge aus dem Damun-Gefängnis zu dem Ofer-Gefängnis zwischen Jerusalem und Ramallah gebracht, wie eine Sprecherin der israelischen Gefängnisbehörde bestätigte. Die Häftlinge sollen nahe ihrer Wohnorte im Westjordanland oder Ost-Jerusalem freikommen.
Israel hatte vor der Freilassung der 39 Häftlinge eine Liste von maximal 300 Personen veröffentlicht, die freikommen könnten. 123 der dort aufgeführten 300 Palästinenser sind Jugendliche unter 18 Jahren. Die Jüngsten sind demnach 14 Jahre alt. 33 Häftlinge sind laut der Auflistung Mädchen und Frauen. Den Häftlingen werden unter anderem das Werfen von Brandbomben, Brandstiftung oder Messerattacken zur Last gelegt. In Israel sind knapp 7.000 Palästinenser inhaftiert, die wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Sicherheit beschuldigt oder verurteilt wurden.
Kann die Waffenruhe für Hilfslieferungen genutzt werden?
Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA will die Kampfpause nutzen, um dringend benötigte Hilfsgüter zu verteilen. Insgesamt sollen am ersten Tag der Waffenruhe rund 200 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gebracht werden - also deutlich mehr als zuletzt pro Tag.
Die Hamas behauptete, im Rahmen des Abkommens mit Israel würden nun jeden Tag Hunderte Lastwagen mit humanitärer Hilfe und Treibstoff in den Gazastreifen kommen.
Erstmals sollen demnach auch Güter in den Norden des Gazastreifens gebracht werden. Die Region stand bislang im Zentrum der israelischen Bodenoffensive. Israel teilte nach Beginn der Waffenruhe mit, es seien vier Treibstofftankwagen und vier Tankwagen mit Gas zum Kochen aus Ägypten kommend in den Gazastreifen gefahren.
Israel hat zugestimmt, während der Feuerpause täglich 130.000 Liter Treibstoff in den Gazastreifen zu lassen - etwa das Doppelte der Menge, die es bislang erlaubt hatte.
Was bedeutet das für die Zivilisten im Gazastreifen?
Nach UN-Angaben sind seit Beginn des Kriegs mehr als 1,7 Millionen Menschen im Gazastreifen, also etwa drei Viertel der Bevölkerung, Binnenflüchtlinge geworden.
Israelische Kampfflugzeuge warfen am Morgen über dem südlichen Gazastreifen Flugblätter ab, mit denen die Menschen jedoch davor gewarnt wurden, in den Norden des Küstenstreifens zurückzugehen. Für Zivilisten sei es weiterhin möglich, sich vom Norden in den Süden zu bewegen.
Ein israelischer Armeesprecher schrieb auf X, vormals Twitter, kurz vor Beginn der Feuerpause auf Arabisch: "Der Krieg ist noch nicht vorbei." Der nördliche Gazastreifen sei weiterhin eine "gefährliche Kriegszone" und es sei verboten, sich dort hin- und herzubewegen. Palästinenser sollten in einer "humanitären Zone" im Süden des Küstenstreifens verbleiben.
Mehrere Palästinenser versuchten offenbar trotz der Warnungen, in den Norden zu gelangen. Die israelische Armee soll daraufhin nach Angaben der Hamas gewaltsam gegen die Menschen vorgegangen sein. Mehrere Menschen seien laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium durch Schüsse verletzt worden. Hamas-Kreise berichten gar von zwei Toten. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben derzeit nicht.
Augenzeugen berichteten, Soldaten hätten auch Tränengas eingesetzt. Ein israelischer Militärsprecher sagte, man prüfe die Berichte.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wie geht es nach der Feuerpause weiter?
Die israelische Regierung bemüht sich klarzustellen, dass die Kampfhandlungen nach der Feuerpause wieder aufgenommen würden, obwohl dann voraussichtlich noch mindestens 140 Geiseln in den Händen der Hamas sind.
Israels Premier Benjamin Netanyahu unterstrich, dass die israelischen Streitkräfte nach der Feuerpause so lange weiterkämpfen würden, bis alle Ziele erreicht seien, einschließlich der Vernichtung der Hamas. Die Feuerpause sei rein taktisch.
Die Terrororganisation Hamas erklärte bereits am Mittwoch, sie habe weiterhin die Finger "am Abzug".
Kritiker befürchten, dass die Hamas die Zeit der Waffenruhe nutzen werde, um sich besser auf neue Angriffe Israels einzustellen, dass Israel also militärisch einen hohen Preis für die Freilassung der Geiseln zahlen werde.
Zu diesen Kritikern gehört auch der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der schon zu Wochenbeginn den sich abzeichnenden Deal als ein "Desaster" bezeichnete.
Wie reagieren die Angehörigen?
Der Deal ruft bei den Angehörigen gemischte Gefühle hervor, da abzusehen ist, dass eine große Zahl von Verschleppten weiter in den Händen der Hamas bleiben wird - insbesondere israelische Soldaten.
Zu Beginn der Woche hatten Angehörige der Geiseln die Regierung bei einem Treffen dazu gedrängt, ihre Bemühungen um eine Freilassung der Verschleppten zu intensivieren. Eine Angehörige sagte etwa der Nachrichtenagentur AP, dass das Abkommen die Angehörigen in eine "inhumane" Lage stürze, weil auch nach der Freilassung von maximal etwa 100 Geiseln viele Familien in großer Sorge um die restlichen Geiseln bleiben würden.