Israels Geheimdienstchef geht Verantwortung für einen "schwarzen Tag"
Der Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes nimmt seinen Hut und übernimmt so Mitverantwortung für Fehler rund um den Hamas-Terror vom 7. Oktober. Andere Rücktritte könnten folgen. Was bedeutet das für Premier Netanyahu?
Vielleicht war es diese eine Meldung, die Aharon Haliva dazu brachte, etwas umzusetzen, dass er schon lange angekündigt hatte. Einen Tag nach Veröffentlichung einer Umfrage, in der eine Mehrheit der befragten Israelis sich dafür aussprach, dass in Politik und Militär Verantwortliche für Fehler rund um den 7. Oktober vergangenen Jahres nun auch Konsequenzen ziehen, tat Israels oberster Militärgeheimdienstler genau das: Generalmajor Haliva reichte seinen Rücktritt ein.
Das Geheimdienst-Direktorat der Armee sei unter seiner Leitung den Aufgaben nicht gerecht geworden, schrieb Haliva in seinem Rücktrittsgesuch. Er trage diesen schwarzen Tag seither mit sich, "Tag für Tag, Nacht für Nacht", fuhr der Generalmajor in dem Schreiben fort.
Israels Generalstabschef Herzi Halevi und Verteidigungsminister Yoav Gallant nahmen das Rücktrittsgesuch an. Die Armeeführung dankte Haliva für 38 Jahre Dienst in den Streitkräften.
Der Zeitpunkt überrascht
Überraschend an seiner Entscheidung ist der Zeitpunkt. Dass er als Konsequenz aus dem Terrorangriff der Hamas zurücktreten würde, hatte der Top-Offizier schon kurz nach dem 7. Oktober angekündigt. Wie andere Verantwortliche aus Militär und Sicherheitsapparat erklärte auch Haliva damals, mit der Umsetzung des Schritts warten zu wollen, bis die militärische Lage das zulasse. Nun sah er diesen Zeitpunkt offenbar gekommen.
Ein möglicher Grund für den Rücktritt jetzt könnten auch interne Untersuchungen der Armee sein. Es soll umfassend geprüft werden, wie es dazu kommen konnte, dass Israels Militär am frühen Morgen jenes verhängnisvollen Samstags von den Terroristen aus dem Gaza-Streifen so kalt erwischt werden konnte. Die palästinensischen Extremisten drangen durch die umfangreichen Grenzanlagen, überrannten Armeeposten auf der anderen Seite, ermordeten mehr als 1.200 Menschen und verschleppten rund 250 Geiseln.
Haliva war damals im Urlaub und soll Medienberichten zufolge kurz vor dem Angriff erste Hinweise darauf erhalten haben, dass etwas bevorstehen könnte. In den Wochen und Monaten zuvor hatten bereits Soldatinnen, die für die Überwachung der Grenze zuständig waren, verdächtige Beobachtungen gemacht und gemeldet. Die Warnungen der sogenannten Grenzbeobachterinnen wurden aber von der Armeeführung nicht ernst genommen.
Interessenskonflikt verhindert
Die internen Militärermittlungen sollen nun sowohl die Zeitspanne direkt um den 7. Oktober herum umfassen als auch zehn Jahre weit zurückreichen, um herauszufinden, ob mögliche strategische Fehlentscheidungen den Terrorangriff der Hamas mit ermöglicht haben.
Zuständig für die Ermittlungen ist das Geheimdienstdirektorat der Armee, also die Einheit unter dem Kommando von Haliva. Er hätte die Untersuchungsergebnisse über mögliches eigenes Fehlverhalten beurteilen müssen - auch das könnte ein Grund für seinen Rücktritt sein.
Wer zieht noch Konsequenzen?
Werden nun andere folgen? Eine Reihe von Entscheidungsträgern in Armee und Sicherheitsdiensten, darunter Generalstabschef Halevi und Ronen Bar On, der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, hatten nach dem 7. Oktober ebenfalls persönliche Konsequenzen angekündigt - wenn die militärische Lage es erlaube.
Noch kämpft Israels Armee im Gaza-Streifen, liefert sich Gefechte mit der libanesischen Hisbollah-Miliz, führt Anti-Terroraktionen im besetzten palästinensischen Westjordanland durch und hat gerade erst einen direkten Schlagabtausch mit dem Iran hinter sich. Deshalb ist unwahrscheinlich, dass die Entscheidung Halivas nun eine ganze Welle von Rücktritten auslöst.
Netanyahus besondere Interessen
Eine politische Aufarbeitung möglicher Fehler rund um den 7. Oktober steht aus und ist aktuell nicht in Sicht. Haliva hält sie offenbar für nötig. In seinem Rücktrittsgesuch plädierte der Generalmajor für eine Untersuchungskommission, um "alle Faktoren und Umstände" unter die Lupe zu nehmen.
Doch die Einsetzung einer solchen Kommission lehnt Premier Benjamin Netanyahu ab. Er betont immer wieder, nun, während Israel im Gaza-Streifen noch Krieg führt, sei nicht die Zeit für die Aufarbeitung möglicher Fehler.
Netanyahu steht selbst wegen seines Umgangs mit der Hamas vor dem 7. Oktober in der Kritik. Der Vorwurf: Israels Langzeitpremier habe kein Interesse an einer wesentlichen Schwächung der Terrorgruppe gehabt, weil er politisch von der Spaltung der Palästinenser in Hamas und Fatah profitieren wollte. Netanyahu hat bisher keine eigenen Fehler eingeräumt.
Durch den Abschied von Generalmajor Haliva und mögliche andere Rücktritte könnte der öffentliche Blick sich nun noch stärker auf den Regierungschef richten.