Myanmar Der Junta entgleitet die Kontrolle
In Myanmar greifen die Rebellen Ziele in der Hauptstadt an - und demonstrieren damit, wie verwundbar die Armee mittlerweile ist. Die Machthaber treiben den Aufständischen immer mehr Unterstützer zu.
Es war ein koordinierter Angriff auf das Machtzentrum des Militärs. Mindestens 13 Kampfdrohnen sollen in dieser Woche über Myanmars Hauptstadt Naypyidaw geflogen sein, bevor sie vom Militär zerstört wurden. Vier Drohnen kreisten über dem Flughafen. Laut militärnahen Medien soll es keine Schäden oder Opfer gegeben haben. Doch es ist ein empfindlicher Angriff auf den Luftraum der streng bewachten Hauptstadt.
Kyaw Zaw, der Sprecher der Oppositions-Regierung in Myanmar, erklärte: "Mit diesem Angriff auf ihr Nervenzentrum wollen wir deutlich machen, dass sie keinen sicheren Ort mehr haben."
Noch klammert sich die Militärjunta mit aller Gewalt an die Macht. Aber für ihren Chef, General Min Aung Hlaing, wird die Lage immer aussichtsloser. Der Armee entgleitet die Kontrolle über immer größere Teile des Landes.
Vor mehr als drei Jahren putschte sich das Militär in Myanmar an die Macht und stürzte unter Führung von General Min Aung Hlaing die demokratisch gewählte Regierung von Aung San Suu Kyi. Die Friedensnobelpreisträgerin sitzt nach wie vor im Gefängnis, verurteilt zu lebenslanger Haft.
Gekämpft wird im ganzen Land - so auch im Norden bei Nam Hpat Kar.
Die Junta treibt den Rebellen Nachwuchs zu
Die Mehrheit der Bevölkerung schloss sich 2021 dem friedlichen Widerstand an. Wegen der Brutalität des Militärs griffen in den vergangenen drei Jahren jedoch immer mehr Menschen zu den Waffen, um gegen das Militär zu kämpfen. Diese sogenannten Volksverteidigungskräfte schließen sich in jüngster Zeit immer häufiger mit bewaffneten ethnischen Gruppen Myanmars zusammen, die seit Jahrzehnten gegen das Militär kämpfen.
Ein Vertreter der Karen National Union (KNU) sagte gegenüber dem ARD-Studio Singapur, dass sie sich derzeit auf die Luftwaffenstützpunkte des Militärs fokussierten. Denn die Luftangriffe der Junta sind die größte Bedrohung für die Opposition und die Zivilbevölkerung. Das Militär fliegt seit Monaten verstärkt Luftangriffe auf Dörfer, Städte und Stützpunkte der Rebellen, bei denen immer wieder Dutzende Zivilisten sterben.
Neben Luftwaffenstützpunkten zielen die Gegner des Militärs auch auf Lieferanten von Flugbenzin. Vor kurzem zündeten sie Bomben in Yangon - sie sollten Angestellte von militärnahen Unternehmen treffen, die Flugbenzin importieren. Davor wurde ein Schiff angegriffen, das Treibstoff geladen hatte.
Am 4. April verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Resolution, die alle Staaten dazu aufruft, keinen Flugzeugtreibstoff und Waffen mehr nach Myanmar zu liefern. Russland und China sind bisher Myanmars engste Verbündete und beliefern das Land mit Nachschub.
Die Machthaber sind verwundbar
Die Drohnenangriffe auf die Hauptstadt zeigen: Die Militärjunta ist verwundbar und in desolatem Zustand. Die Opposition hingegen wächst, auch wegen der neuen Wehrpflicht. Nach dem traditionellen burmesischen Neujahrsfest Mitte April sollen die ersten 5.000 Soldaten mit der Ausbildung beginnen. Laut dem umstrittenen Gesetz können junge Männer und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren ab sofort zwangsrekrutiert werden.
Der 31-jährige Kyaw berichtet dem Sender Channel News Asia, wie er im März den Einberufungsbescheid erhalten hat: "In dem Moment wurde mir klar, dass ich das Land verlassen muss. Wenn ich eingezogen werde, bin ich verloren." Die jungen Rekruten werden voraussichtlich ohne langes Training an die Front geschickt. Er werde entweder sterben oder müsse vorher fliehen. Kyaw sagt: "Ich ende lieber als Bettler in einem fremden Land."
Flucht vor der Mobilisierung
Myanmars Militär, ohnehin von der Mehrheit der Bevölkerung gehasst, befindet sich auf dem Tiefpunkt seiner Popularität. Für Miemie Winn Byrd, Asien-Pazifik-Sicherheitsexpertin und ehemals Oberstleutnant der US-Streitkräfte, könnte sich die Zwangsrekrutierung für die Junta am Ende als Fehler entpuppen. Die Stimmung in der Armee werde immer schlechter. Die Militärjunta könne ihre Soldaten teils nicht mehr bezahlen und manchmal kaum mehr ernähren: "Im Moment ist es so, dass das Militär bei Kämpfen am Boden mehr Tote zu beklagen hat als die Rebellen. Und das liegt daran, dass die Soldaten erschöpft sind und keinen Kampfeswillen mehr haben."
Es gehe nicht nur darum, wie viele Männer eine Seite habe, sondern auch um deren Kampfeswillen. "Viele Soldaten des Militärs haben ihren Glauben daran verloren, dass das Militär dazu da ist, die Bevölkerung zu beschützen, weil sie festgestellt haben, dass die Bevölkerung zu ihrem Hauptfeind geworden ist."
Soldaten fliehen über die Grenze nach Indien, Bangladesch, Thailand oder China. Andere versuchen die Seite zu wechseln und sich den Rebellen-Gruppen anzuschließen.
Eine Frage des Geldes
Die 33-jährige Ah Saw hat vor dem Militärputsch ein Reisebüro eröffnet. Erst kam Covid, dann der Coup, das Geschäft lief schlecht. Seitdem das Militär im Februar die Zwangsrekrutierung bekannt gemacht hat, häufen sich bei ihr die Buchungsanfragen nach Thailand und Malaysia. "Eigentlich wollen die Leute nur die einfache Strecke. Um bessere Chancen zu haben, ein Visum zu bekommen, reservieren sie aber Hin- und Rückreise", berichtet sie. "Ich versuche alles, um ihnen zu helfen."
Verzweifelte junge Menschen stehen zu Hunderten vor den Botschaften an, um Visa zu erhalten. Doch nur die Vermögenderen können sich die Flucht ins Ausland leisten. Für Miemie Winn Byrd steht das Land inzwischen nicht nur vor einem neuen "Brain Drain", also einer Abwanderung qualifizierter junger Menschen, sondern auch vor einer neuen Form der Spaltung.
Hatte der Militärputsch von 2021 ehemals verfeindete ethnische und religiöse Gruppen geeint, spaltet nun Geld die Gesellschaft. "Wegen der Korruption können vor allem diejenigen, die die Bestechungsgelder zahlen können, um die Einberufung herumkommen. Aber die Armen haben keine Mittel, um zu fliehen. Wenn man versucht, zu fliehen, kostet es Geld für den Bus, fürs Flugzeug oder Taxi."
Das Prinzip Überrumpelung
Immer neue Bestimmungen erschweren es, überhaupt eine Reiseerlaubnis zu erhalten - denn die braucht es auch für Reisen im Land. Dazu kommt die Angst, sich überhaupt auf die Straße zu begeben. Es bestehe jederzeit die Gefahr, vom Militär verhaftet und eingezogen zu werden.
Aber auch Zuhause sei man nicht sicher, erzählt der 23-Jährige Khun San der ARD. "Wir haben Angst davor, dass sie vor unserer Tür stehen und klopfen. Und wenn sie kommen, kommen sie zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens. Wenn ich darüber nachdenke, kann ich nicht mehr schlafen."
Khun San will sich, wie viele andere, schnellstmöglich ins Ausland absetzen. Sollte der Einberufungsbefehl vor dem Visum kommen, steht für ihn aber schon fest, dass er sich dann lieber auf die Seite der Rebellen schlagen wird.