Vermittler zwischen Israel und der Hamas? Katar übt den Drahtseilakt
Wenn es um Vermittlung im Krieg zwischen Israel und der Hamas geht, kommt Katar eine Schlüsselrolle zu. Das Land hat enge Kontakte zu den militanten Islamisten. Seine Außenpolitik folgt dabei nicht nur ideologischen Aspekten.
Ein kleines Emirat in einer großen Rolle: Weltweit berichten die Medien über Katar. Die Freilassung einiger Geiseln - von Katar vermittelt. Die Grenzöffnung Richtung Ägypten für Ausländer, Doppelstaatler und Verletzte - angeblich ebenfalls unter anderem von Katar eingefädelt.
Katar hat die Kontakte zu allen Seiten und versucht, zu vermitteln. Und ein Geheimnis daraus macht das Emirat nicht, im Gegenteil: "Unser Ziel ist, dass alle zivilen Geiseln frei kommen", so der katarische Chef-Unterhändler der Vermittlungsgesprächen, Mohammed al Khulaifi, im Gespräch mit "Sky News" vor einigen Tagen.
Seit dem ersten Tag bekomme das Emirat "Anrufe von Regierungen aus der ganzen Welt, die um unser Engagement bitten". Die Aufgabe sei nicht einfach, "aber wir arbeiten mit ganzer Kraft und all unseren Möglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen".
Israel lobt Katars Bemühungen
Selbst die Israelis - im Bewusstsein von Katars vermeintlicher Nähe zur militant-islamistischen Hamas - sehen, wie wichtig Katar ist: Der israelische Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi kommentiert, die diplomatischen Bemühungen von Doha seien "entscheidend". Und US-Außenminister Anthony Blinken lobte nach der Geiselfreilassung ausdrücklich Katars Einsatz.
Katar galt vor der Krise als einer der engsten Unterstützer des politischen Flügels der Hamas: 2,1 Milliarden US-Dollar sollen Berichten zufolge bislang von Katar in den Gazastreifen gebracht worden sein.
Katar habe die Hamas mitfinanziert, stellt der Nahostexperte James Dorsey fest und mehrmals Gelder in den Gazastreifen geschickt, vor allem um die Gehälter von Staatsangestellten zu finanzieren, die mit der Hamas assoziiert werden. "Aber das geschah mit Wissen der Israelis und wurde teilweise von Israel unterstützt, weil Israel so kontrollieren konnte, wohin das Geld ging - nämlich ausschließlich zum politischen Flügel der Hamas", so Dorsey.
Seine erste Reise nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel führte US-Außenminister Blinken unter anderem zu Scheich al Thani nach Katar.
Gelder nur für Gehälter und staatliche Infrastruktur?
Israel begründete Berichten zufolge vor einigen Jahren, dass das Geld eingesetzt würde, um die humanitäre Krise im Gazastreifen zu lindern. Der Politologe Mustafa Kamal al-Sayyed von der Kairo Universität beschreibt es ähnlich. Das Geld aus Katar habe nicht dazu gedient, Waffen zu kaufen, sondern um Gehälter zu bezahlen, Krankenhäuser und Schulen zu betreiben. Die Hamas trage schließlich seit Jahren die Verwaltung in Gaza.
Doch kann als sicher gelten, dass mit den Finanzhilfen Katars nicht auch der militärische Arm der Hamas mitfinanziert wurde? Hat Katar die Terroristen in der Vergangenheit gestärkt?
Katar bestreitet das vehement und weist jede militärische Unterstützung der Hamas von sich. Doch Katar unterstützte nicht nur den Gazastreifen mit Geld- und Sachmitteln, sondern gab auch der politischen Hamas ein Stück weit ein Zuhause: In Doha leben hochrangige Hamas-Vertreter, die Hamas selbst hat seit 2012 ein Büro in Doha.
Außenpolitik mit "Widersprüchen"
Katar hat schon lange den Ruf, islamistische Gruppen im Nahen Osten zu protegieren. Seit Jahrzehnten unterstützt Doha die Islamistische Muslimbruderschaft, aus der die Hamas als Ableger hervorgegangen ist. Auch die militant-islamistischen Taliban aus Afghanistan haben in Katar ein Büro.
Dementsprechend gut kann Katar in Konflikten vermitteln: Katars diplomatische Initiative sorgte 2020 für ein Abkommen zwischen den USA und den Taliban.
Warum stützt Katar islamistische Gruppierungen? Dahinter stecke möglicherweise eine gewisse ideologische Nähe, sagen Beobachter. Vor allem aber geht es offenbar um Einfluss in der Region. Katar pflege Beziehungen zu Ländern und Gruppierungen, die von den anderen nicht gemocht werden, sagt Nahostexperte Dorsey. Das mache Katar zum Vermittler.
Politologe al Sayyed glaubt, dass Katar bei allen Sympathien für islamistische Bewegungen vor allem mit allen gute Beziehungen haben wolle, mit den Taliban, der Hamas und den USA: "Das ist der widersprüchliche Teil von Katars Außenpolitik - die guten Beziehungen zu allen gehen soweit, dass eben auch verfeindete Länder unterstützt werden."
Das Ziel: "Prestige und Anerkennung"
Das katarische Interesse dahinter: regionaler und überregionaler Einfluss. Das kleine Emirat, gerade mal halb so groß wie Hessen, strebt nach größerer Bedeutung auf der politischen Weltbühne, will ernst genommen werden und wichtig sein. Auch die Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr war für Katar vor allem eine Gelegenheit, bekannt zu werden.
"Katar will Prestige, Anerkennung. Und deshalb verfolgt es die Null-Probleme-Außenpolitik - keine Probleme, egal mit welchem Land. Und dadurch wird Katar als Vermittler akzeptiert", unterstreicht al Sayyed.
Bedürfnis nach Absicherung
Doch dahinter steckt nicht nur der Wunsch nach Anerkennung, sondern auch ein Bedürfnis nach Absicherung. Diese Form der Außenpolitik, konstatiert Dorsey, sei für das Emirat "eine Frage der nationalen Sicherheit".
Dorsey verweist darauf, dass Katar gerade mal 300.000 katarische Einwohner hat. "Dieses kleine Land kann sich nicht selbst verteidigen. Seine Verteidigungsstrategie ist die Softpower - als Vermittler, mit Sportevents, Gasexporten, Kultur, als Transit-Hub - all dieses Dinge münden in der Hoffnung, dass sich die internationale Gemeinschaft für Katar interessiert, wenn doch mal eine Krise auftaucht."
Wirtschaftliche und politische Drähte nach Israel
Auch wenn Katar eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel bislang ablehnte, pflegt Doha durchaus Kontakte zu Israel. Schon 1996 eröffnete Israel eine Handelsvertretung in Katar, die später wieder geschlossen wurde. Dennoch gibt es wirtschaftliche Verbindungen - und auch politische Kontakte. Das zeigte sich auch bei der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr: Israelische Fans reisten nach Doha, dazu wurden Direktflüge von Tel Aviv eingerichtet.
Katar hat gute Beziehungen zu den USA, die als engster Verbündeter gesehen werden - die USA betreiben in Katar die größte US-Militärbasis im Nahen Osten.
Angesicht des Hamas-Terrors steht Katar nun aber unter Druck: Vor allem aus konservativen Kreisen in den USA wird scharfe Kritik an dem Emirat laut. Katar stehe eine Abrechnung bevor, schreibt das US-Magazin "Atlantic". Kritiker fordern bereits, dass die US-Politik zu Katar überdacht werden sollte.
Nachdenken über die Hamas? Vielleicht später
In Katar ist man daher tunlichst bemüht, sich von der Hamas zu distanzieren, ohne die Kontakte abbrechen zu lassen. Doha ist besorgt, dass der eigene Ruf, das internationale Ansehen durch den jüngsten Nahostkonflikt sinken könnte.
Das Büro der Hamas in Doha zu schließen, lehnt Katar allerdings ab, mit Hinweis auf diplomatische Bemühungen. Das Herrscherhaus in Doha habe sich aber bereit erklärt, nach einer Lösung der aktuellen Krise die Gastfreundschaft zur Hamas zu überdenken, hieß es von US-Diplomaten.
Wie vermitteln?
Vielleicht sind die Unterhändler aus Doha vorher jedoch die Einzigen, die noch Einfluss auf die Hamas nehmen können, sagen Beobachter. Aber die Herausforderung sei riesig, das räumt der katarische Chefunterhändler selbst ein.
Zwischen zwei Parteien zu vermitteln, die "absolut null gegenseitiges Vertrauen" mehr hätten, sei "die schwierigste Vermittlung" überhaupt. Dann indirekte Gespräche zwischen den Seiten zu führen, sei sehr schwierig. "Und dadurch, dass die Gewalt quasi jeden Tag mehr wird, wird unsere Aufgabe noch schwieriger", so Mohammed al Khulaifi.
Wann die Gesprächsbereitschaft zunimmt
Nahostexperte Dorsey fragt, "ob hier gerade überhaupt irgendwer vermitteln kann". Der Konflikt werde gerade von so vielen Emotionen gesteuert, da bedürfe es nicht nur einen guten Vermittler, sondern auch Druck.
"In jedem Konflikt erreicht man nur dann eine Waffenruhe, eine Deeskalation, wenn der Preis, nicht mitzumachen, für beide Seiten zu hoch wird. Und momentan ist hier für keine Seite der Preis zu hoch. Deshalb gibt es kein Fundament, auf dem du vermitteln kannst. Vermittlung ist immer bestimmt von den Mitteln, die zur Verfügung stehen."
Katar übt den Drahtseilakt - mit allen Seiten die Balance zu halten, keinen gegen sich aufzubringen. Das Ziel, international wichtiger und bekannter zu werden, haben die Herrscher am Golf wohl auf jeden Fall erreicht, und jede noch so kleine diplomatische Erfolgsmeldung ist für Katar ein Triumph.