EU und Türkei Die Beziehungen sind eine Baustelle
Der EU sind in Sachen Türkei die Hände gebunden. Zuviel Kritik oder gar ein Abbruch der Beitrittsgespräche - lieber nicht. Die EU braucht den schwierigen Partner, und umgekehrt. Ein Überblick über die drei größten Baustellen in den Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara.
Die EU-Beitrittsverhandlungen
Es ist eines der langwierigsten Projekte der EU-Geschichte: Offiziell begonnen wurden die Beitrittsgespräche mit der Türkei im Jahr 2005, doch die Zusammenarbeit reicht bis in die 1960er-Jahre hinein. Damals wurde ein Assoziierungsabkommen zwischen der Türkei und der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unterzeichnet. 1996 wurde daraus die gemeinsame Zollunion mit der EU. Absolutes Neuland wurde mit den Beitrittsgesprächen also gar nicht betreten - es war vielmehr die Fortführung einer historischen Logik, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits 2002 erklärte: "Alle deutschen Bundeskanzler - von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl - und natürlich auch, was unsere Politik angeht, sind dieser Kontinuität gefolgt und haben dafür gesorgt, dass einer säkularisierten Türkei eine Perspektive des Beitritts geboten wird."
Doch aus dieser Perspektive ist seitdem nicht viel geworden: In mehr als zehn Verhandlungsjahren ist von den 35 Verhandlungskapiteln nur eins, zur Wissenschaft und Forschung, abgeschlossen worden. Manche Kapitel wurden noch gar nicht geöffnet. Von der Türkei als Brückenland Europas in den Nahen und Mittleren Osten ist inzwischen kaum noch die Rede, dafür umso öfter von einer "strategischen Partnerschaft".
Trotzdem hält die EU an den Beitrittsgesprächen fest: Weil sie noch immer als bestmöglicher Anreiz für Reformen in der Türkei angesehen werden. Und weil in der Annäherung die Chance gesehen wird, den Streit um den geteilten Inselstaat Zypern lösen zu können. Die Republik Zypern gehört zwar zur EU, doch der Nordteil der Insel wird seit 1974 von der Türkei besetzt.
Der Kampf gegen den islamistische Terror
Wie wichtig die Zusammenarbeit beim Anti-Terror-Kampf zwischen der EU und der Türkei ist, wurde spätestens nach den Anschlägen von Brüssel klar: Einer der Dschihadisten, Ibrahim el Bakraoui, war im Jahr zuvor den türkischen Sicherheitskräften ins Netz gegangen. Die warnten die Europäer - doch die Information wurde nicht weitergeleitet. Auf die Erkenntnisse des in der Region bestens vernetzten türkischen Geheimdienstes können die europäischen Sicherheitsbehörden schwerlich verzichten, genauso wenig wie auf die Kooperation Ankaras mit der europäischen Polizeibehörde Europol. Für die Anti-IS-Koalition ist die Türkei zudem ein wichtiger Stützpunkt für Aufklärungsflüge und Luftangriffe gegen die Terrormiliz.
Doch die Türkei ist ein sehr ambivalenter Anti-Terror-Partner: Wie die Zeitung " Cumhuriyet" aufdeckte, unterstützten die Regierung und Präsident Erdogan syrische Islamisten mit Waffenlieferungen. Die Zeitung wird seitdem von der Regierung hart verfolgt. Zudem bekämpft das NATO-Mitglied Türkei trotz wiederholter Kritik seiner Partner die Kurden in Syrien - obwohl die zu den wichtigsten Gegnern des IS gehören.
Präsident Erdogan geht hart gegen Kritiker, Kurden und die Opposition im Land vor.
Die Flüchtlingskrise
Im März unterschrieb die EU einen umstrittenen Pakt: Ankara hält die Flüchtlinge von der Fahrt über die Ägäis ab und nimmt all jene zurück, die es trotzdem irgendwie nach Griechenland geschafft haben. Im Gegenzug zahlt die EU Milliarden für die Unterbringung der Flüchtlinge in der Türkei - und nimmt sukzessive Syrer aus den türkischen Lagern bei sich auf. Der Deal funktioniert, wie Europas Staats- und Regierungschefs inzwischen bei jeder Gelegenheit erklären: Die Zahl der Neuankömmling in Griechenland ist dramatisch gefallen, genauso wie die Zahl jener, die in der Ägäis ertrinken.
Auch deswegen scheut Brüssel die Konfrontation mit Ankara: Die Gefahr, ohne das Abkommen bald eine neue Flüchtlingswelle zu erleben, ist mit Händen zu greifen - zumal die EU es bisher nicht geschafft hat, ihr Asylsystem auf die neuen Bedürfnisse anzupassen, geschweige denn, eine solidarische Flüchtlingsverteilung auf die Beine zu stellen. In keinem Bereich ist die EU so abhängig von der Türkei wie in der Flüchtlingsfrage. Wie sagte doch Ratspräsident Donald Tusk im April? Ohne dieses Abkommen wären wir nicht in der Lage, eine politische Katastrophe in der EU zu verhindern: den Kollaps von Schengen, den Kontrollverlust über unsere Außengrenzen, politisches Chaos in der EU und den Triumph der Populisten." Und dann fügte Tusk noch einen Satz hinzu, der wohl für die gesamte EU-Politik gegenüber der Türkei gelten kann. "An alle, die die perfekte Lösung, den 'heiligen Gral' suchen: Ihr werdet ihn nicht finden."