Wahl von Borg zum Gesundheitskommissar auf der Kippe Zu rückwärtsgewandt für den EU-Posten?
Das Europäische Parlament stimmt heute darüber ab, ob der maltesische Außenminister Borg EU-Kommissar für Gesundheit werden darf. Das Ergebnis ist offen. Denn der extrem konservative Borg vertritt gesellschaftpolitische Ansichten, die viele Parlamentarier für schlicht inakzeptabel halten.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Jedes der 27 EU-Länder darf einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Dem kleinsten Mitgliedsstaat Malta ist der Vertreter gerade abhanden gekommen. Gesundheitskommissar John Dalli musste seinen Posten wegen schwerer Korruptionsvorwürfe räumen.
Malta präsentierte schnell einen Nachfolger: Außenminister Tonio Borg. Der kann sein Amt aber nur antreten, wenn das Europäische Parlament zustimmt. Letzte Woche hat sich Borg den Abgeordneten präsentiert. Der CDU-Gesundheitsexperte Peter Liese hat die Anhörung geleitet. "Herr Borg ist sehr geeignet, Gesundheitskommissar zu werden. Er ist sehr fachkompetent, hat sich erstaunlich schnell in das Dossier eingearbeitet, und er hat auch klar erklärt, dass er auf dem Boden der europäischen Grundrechtecharta steht. Ich glaube, es gibt überhaupt keinen Grund, ihn nicht zu unterstützen", so Liese.
"Gesellschaftspolitischen Ansichten völlig inakzeptabel"
Das sehen aber die Fraktionen links von den europäischen Konservativen ganz anders. Zwar bescheinigt auch Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms dem maltesischen Außenminister, sich als kompetenter und kluger Politiker präsentiert zu haben. Aber seine gesellschaftspolitischen Ansichten findet sie völlig inakzeptabel: "Herr Borg ist in Malta bekannt dafür, dass er bei Rechten von Schwulen und Lesben auf Seiten der Erzkonservativen steht. Herr Borg ist dafür bekannt, dass er das Recht auf Scheidung nicht wirklich respektieren wollte."
Auch der Chef der FDP-Gruppe im Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, findet die Ansichten des Maltesen etwas sehr rückwärtsgewandt. "Herr Borg ist in der Vergangenheit mit Äußerungen aufgefallen, die mit der europäischen Grundrechtecharta nicht vereinbar sind. Da geht es insbesondere um das Frauenbild, um die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Insofern sind wir skeptisch, ob er für das Ressort, für das er vorgesehen ist, das ja auch die Gesundheitspoltik umfasst, geeignet ist", sagt Lambsdorff.
CDU-Mann Liese kann solche Argumente nicht nachvollziehen: "Man muss ja nicht alle Positionen von Herrn Borg teilen. Er ist ein konservativer Katholik, aber das sind Ansichten, die in Europa von vielen Millionen Menschen geteilt werden." Es könne nicht sein, dass in Europa nur eine Meinung akzeptiert werden könne.
Ernennung Borgs wird zum Kulturkampf
Und so ist die Ernennung von Borg zu einer Art Kulturkampf im Parlament geworden. Aber Liese vermutet, dass auch noch andere Interessen im Spiel sind. Denn Borg habe angekündigt, dass er sich als Gesundheitskommissar als erstes um die sehr umstrittene Verschärfung der Anti-Tabak-Richtlinie kümmern werde.
"Ich habe leider den Eindruck, dass einige, die Herrn Borg ablehnen, dies auch aus diesem Grund tun, dass sie sagen, wenn wir keinen Gesundheitskommisar haben, dann gibt es natürlich auch keine weitere Regulierung in diesem Bereich. Und das finde ich persönlich sehr schade", sagt Liese. Europa dürfe nicht dem Druck der Tabak-Lobby erliegen.
Aber dieser Eindruck besteht ohnehin schon. Borgs Vorgänger Dalli musste auf Druck von Kommissionschef Jose Manuel Barroso seinen Stuhl räumen, weil er den Eindruck der Käuflichkeit erweckt hatte.
Vorgänger Dalli als Verschwörungsopfer?
Allerdings könnte der Schuss für Barroso auch nach hinten los gehen, denn Dalli stellt sich als Opfer einer Verschwörung dar. Das hat den Chef des Haushalts-Kontrollausschusses im Parlament, Michael Theurer, auf den Plan gerufen. "Wir wollen natürlich wissen, ob Dalli Opfer einer Intrige der Tabakindustrie gewesen ist, was vielleicht sein könnte. Oder ob handfeste Beweise vorliegen, die ihn als Teil eines Korruptionsskandals erscheinen lassen", sagt er.
Und solche handfesten Beweise liegen offensichtlich nicht vor. Das musste die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde auf Anfrage von Theurer eingestehen. "Wir haben daraufhin gefordert, dass wir Akteneinsicht in den Abschlussbericht bekommen, den die Betrugsbekämpfungsbehörde übermittelt hat", so Theurer. Diese Akteneinsicht wird den Parlamentariern nach wie vor verweigert.
Und so hat die EU ein doppeltes Malta-Kommissars-Problem: Der eine wurde möglichwerweise zu Unrecht gefeuert, der andere könnte von den Parlamentariern gar nicht erst ins Amt gelassen werden.