Nach Einigung in Brüssel Schottische Nationalisten gegen Brexit
Die EU und Großbritannien haben sich auf einen Brexit-Vertrag geeinigt. Nun muss der Deal noch vom britischen Parlament bestätigt werden. Schottlands Regierungschefin lehnt schon jetzt ab - und nicht nur sie.
Die EU und Großbritannien haben sich vor Beginn des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs auf einen Brexit-Deal geeinigt. Nun benötigt der britische Premierminister eine Mehrheit im Parlament, um das Abkommen umzusetzen. Johnson hat dort keine Mehrheit und ist auf jede Stimme angewiesen.
Doch von der Insel kommt Widerstand. Die Schottische Nationalpartei SNP werde gegen den Vertrag stimmen, kündigte die Parteivorsitzende und schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon an. Das Abkommen hole Schottland aus der EU, dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Zollunion, und zwar gegen den Willen einer großen Wählermehrheit. Die SNP verfügt über 35 der 650 Sitze im britischen Unterhaus.
Beim Brexit-Referendum hatte die Mehrheit der schottischen Wähler für den Verbleib in der EU gestimmt. Sturgeon hat immer wieder für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum für Schottland geworben. Jetzt sagte sie: "Es ist so klar wie noch nie, dass die beste Zukunft für Schottland die eines gleichberechtigten, unabhängigen europäischen Landes ist."
Corbyn: Schlechterer Deal als von May
Auch die mit den Konservativen verbündete nordirische Demokratische Unionistenpartei (DUP) erklärte, sie unterstütze die neue Vereinbarung nicht. Der DUP fällt beim Ringen um eine Mehrheit für ein Abkommen im britischen Unterhaus eine Schlüsselrolle zu, weil Johnsons Minderheitsregierung auf die zehn Abgeordnetenstimmen der DUP angewiesen ist.
Die Labour-Partei als größte Oppositionskraft lehnt den Deal ebenfalls ab. Labour-Chef Jeremy Corbyn sagte, Johnson habe einen noch schlechteren Deal ausgehandelt als seine Vorgängerin Theresa May. Deren Verhandlungsergebnis war krachend abgelehnt worden.
Auch der EU-feindliche britische Populist Nigel Farage kritisierte die Einigung scharf. Trotz der Verbesserungen in Fragen der Zollunion sei die Vereinbarung angesichts der vorgeschlagenen Nordirland-Lösung "kein Brexit", erklärte der Chef der Brexit-Partei auf Twitter. Im Rundfunksender BBC fügte Farage hinzu: "Offen gesagt denke ich, er sollte abgelehnt werden."
Johnson: Chance für klaren Bruch
Premierminister Johnson äußerte sich bei einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel zufrieden. Er sprach von einem "großartigen neuen Deal". Durch das Abkommen sehe er die Chance für einen klaren Bruch mit der EU. Für Großbritannien bedeute der Deal, dass das Land einen "echten Brexit" vollziehen könne. Großbritannien könne die EU am 31. Oktober vollständig und ganz verlassen, künftig Handelsabkommen rund um die Welt abschließen und alleine Entscheidungen über seine Gesetze, Grenzen und sein Geld treffen.
Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar begrüßte die Einigung ebenfalls. "Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt", schrieb er auf Twitter. Die Lösung sei gut für die Republik Irland und das britische Nordirland. Es werde keine harte Grenze zwischen beiden Teilen der Insel geben. Irland sei von besonderer Bedeutung, weil dort nach dem Brexit eine neue EU-Außengrenze entsteht.
Juncker bedauert Brexit
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, der EU-Austritt Großbritanniens werde nicht erneut verschoben. Er betonte, dass er über den Brexit traurig sei. Neben dem britischen muss auch das EU-Parlament dem Deal zustimmen. Der aktuelle Brexit-Termin ist der 31. Oktober. Junckers Nachfolgerin Ursula von der Leyen sprach von einem guten Beginn für die Verhandlungen über die künftige Beziehung zwischen Großbritannien und der EU.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich zufrieden mit dem Durchbruch. "Das ist eine gute Nachricht", sagte sie vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Das ausgehandelte Abkommen eröffne die Möglichkeit, die Integrität des EU-Binnenmarkts und das Karfreitags-Abkommen zur Beendigung des Nordirland-Konflikts zu erhalten. Dass der irische Ministerpräsident Leo Varadkar sich zufrieden gezeigt habe, sei für sie "ein ganz wichtiges Zeichen". Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von guten Nachrichten. Er äußerte sich zugleich zuversichtlich, dass das britische Parlament den neuen Scheidungsvertrag absegnen könne.
Das Parlament kommt wegen der Beratungen erstmals seit 37 Jahren an einem Samstag zusammen. Die Abgeordneten stimmten am Donnerstag mit 287 zu 275 Stimmen für einen Antrag, der eine Sondersitzung des Parlaments vorsieht, wie das Unterhaus bei Twitter mitteilte.
Einigung umfasst vier Punkte
Streitpunkt war bisher die enthaltene Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Johnson wollte ihn unbedingt streichen. Nach langem Hin und Her fand man eine Alternative.
EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier zufolge umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards und bleibt in einer speziellen Zollpartnerschaft in der EU und in der Zollunion des Vereinigten Königreichs. Zudem gebe es eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden. Die nordirische Volksvertretung könne zudem über vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten solle. Die jetzige Vereinbarung sei keine Übergangslösung, sie gelte dann auf Dauer.
Die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien wurde darüber hinaus laut Barnier geändert. Großbritannien gebe darin "solide Garantien", dass EU-Standards wie Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis, so der EU-Brexit-Unterhändler.