Leben in Großbritannien Was sich für EU-Bürger nach dem Brexit ändert
Eine Wohnung mieten oder einen Arbeitsvertrag bekommen - das geht für die gut drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien nach dem Brexit nur noch mit Aufenthaltsgenehmigung. Dafür müssen sie sich bewerben.
Ilse Mogensen lebt seit mehr als 20 Jahren in Großbritannien. Und sie will auch hier bleiben. Bislang war das für sie als Dänin, also EU-Bürgerin, auch kein Problem. Künftig aber brauchen EU-Bürger in Großbritannien ein eigenes Aufenthaltsrecht.
Es sei denn, man macht es gleich wie Mogensen. "Ich habe kein Aufenthaltsrecht beantragt, weil ich mir schon vor anderthalb Jahren Sorgen machte, wie das wohl alles wird und ob ich damit am Ende wirklich alle Rechte behalte, die ich jetzt als EU-Bürgerin habe", erzählt sie. "Deshalb habe ich gleich die britische Staatsbürgerschaft beantragt."
Eine Aufenthaltsgenehmigung brauchen EU-Bürger, um das nationale Gesundheitssystem NHS nutzen zu können.
Keine genauen Zahlen zu EU-Bürgern
Drei bis dreieinhalb Millionen EU-Bürger leben in Großbritannien, darunter rund 300.000 Deutsche. So genau weiß man das nicht. Großbritannien führt kein Einwohnermelderegister, deshalb gibt es auch keine präzisen Zahlen.
Ändern wird sich für die EU-Bürger und -Bürgerinnen nach dem Brexit erstmal nicht viel. Nur die Frage des Aufenthaltsrechts beschäftigt die meisten schon jetzt. Wenn sie nicht wie Mogensen die britische Staatsbürgerschaft beantragen wollen oder das schon haben, dann müssen sie sich um ein solches Aufenthaltsrecht bewerben.
"Reine Unwissenheit"
Die Organisation "3Millions" ist zum Sprachrohr der EU-Bürger im Land geworden. Maike Bohn gehört zu ihren Gründern. Sie befürchtet, dass viele gar nicht erst den Antrag gestellt haben - aus reiner Unwissenheit", sagt sie.
Das kann reichen von: Ich bin doch mit einer Britin verheiratet. Oder jemand hat Demenz. Ein Kind, dessen Eltern sich nicht gekümmert haben. Also: Aus sehr guten Gründen werden Hunderttausende sich nicht beworben haben.
Aufenthaltsgenehmigung notwendig
Die EU-Bürger werden die Aufenthaltsgenehmigung aber brauchen, um
- einen Job zu bekommen,
- eine Wohnung zu mieten oder
- das nationale Gesundheitssystem NHS nutzen zu können.
Das tritt nicht sofort ein, aber spätestens zum Sommer nächsten Jahres. Sollte es bis Jahresende kein Abkommen mit der EU geben, dann wären die Aufenthaltsgenehmigung auch schon früher notwendig.
Fast drei Millionen EU-Bürger hätten bereits einen Antrag gestellt, sagt die Regierung. Technisch läuft das Verfahren offenbar fast reibungslos. Nach Angaben des Innenministeriums wurden erst sechs Anträge abgelehnt.
Laut Studie kein Vertrauen in digitale Dokumente
Darum gehe es aber gar nicht so sehr, sagt Tanja Bültmann, Professorin für Einwanderungsgeschichte an der Universität in Newcastle. Sie legte vor ein paar Tagen eine Studie vor, die zeigt: Die Antragsteller misstrauen dem Verfahren und den Zusagen der Regierung.
Das könne man zum Beispiel daran erkennen, dass 90 Prozent der Menschen ganz dringend und unbedingt ein echtes Dokument in den Händen halten möchten. Der digitalen Version vertrauten sie nicht."
"Verlust von Identität und Heimat"
Und dann komme noch ein emotionaler Punkt hinzu, sagt Bültmann: "Man kann auch ganz klar sehen, dass die Menschen sich hier völlig ausgegrenzt fühlen. Und das liegt auch eben daran, dass es ein Bewerbungsverfahren war und keine normale Registrierung. Die Leute sprechen davon, dass sie ihre Identität, ihre Heimat verloren haben.
Die Regierung betont immer wieder, dass EU-Bürger willkommen seien in Großbritannien, dass sie einen wichtigen Beitrag zur britischen Gesellschaft leisteten. Das seien alles nur warme, aber wertlose Worte, findet Bohn von "3Millions". Sie glaubt Premierminister Boris Johnson nicht und fordert Taten statt Worte.
Diese Taten wären eben wirklich: Rechtssicherheit jetzt schaffen, und den Menschen und uns Sicherheit geben, die sich später um diesen neuen Status bewerben, angenommen werden.
Unsicherheit bleibt
Am Ende, sagt Bohn, würden die EU-Bürger in Großbritannien ohne die Rechtssicherheit gar nicht wissen, ob wirklich wie versprochen alle EU-Bürger ihre Rechte in die neue Zeit hinüberretten können.
Die Dänin Mogensen ist jetzt zwar auf dem Weg zur britischen Staatsbürgerschaft, aber das, sagt sie, könne ja eigentlich auch nicht die Lösung sein. "Ich habe das getan, um meinen Status hier abzusichern, und auch, um das Wahlrecht zu bekommen. Aber eigentlich sollten sich die Leute sicher fühlen in dem Status, den sie haben."