Zwangspause für Unterhaus Proteste gegen Johnson von allen Seiten
Demonstrationen, eine wachsende Online-Petition und Kritik aus allen Parteien: Die von Premier Johnson angekündigte Parlamentspause ruft Empörung hervor. Die schottische Tory-Chefin Davidson verkündete ihren Rücktritt.
Quer durch alle Fraktionen formiert sich der Widerstand gegen den vom britischen Premierminister Boris Johnson angekündigten Zwansgurlaub für das Parlament. Auch eine Reihe von Abgeordneten seiner Konservativen Partei lehnte die Sitzungspause bis zwei Wochen vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU ab.
Ein Mitglied der konservativen Regierungspartei im Oberhaus, David Young, legte aus Protest gegen den Schritt sein Fraktionsamt nieder. Die schottische Tory-Chefin Ruth Davidson verkündete unter anderem wegen ihres Widerstands gegen Johnsons Brexit-Kurs ihren Rücktritt. Dennoch wolle sie den Premierminister unterstützen, sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters zufolge.
Ruth Davidson kündigte ihren Rücktritt an.
Auslöser für den Rückzug der Politikerin sollen Medienberichten zufolge vor allem private Gründe sein, doch der Zeitpunkt gab Anlass für Spekulationen über einen tiefen Riss in der Partei: Davidson war Johnsons erbitterte innerparteiliche Rivalin im Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum 2016 und ist eine entschiedene No-Deal-Gegnerin. Sie galt einst als Hoffnungsträgerin der Tory-Partei.
Anhörung vor schottischem Gericht
Ein schottisches Gericht beraumte kurzfristig eine Anhörung zu der von Johnson verordneten Zwangspause des britischen Parlaments an. Das teilte der Court of Session in Edinburgh mit. Geklagt hatte eine Gruppe von Oppositionsabgeordneten. Sie wollen eine einstweilige Verfügung erreichen, bis gerichtlich geklärt ist, ob die vorübergehende Schließung des Parlaments rechtmäßig ist. Solange soll die sogenannte Prorogation des Unterhauses nach dem Willen der Kläger nicht wirksam werden.
Auch die Anti-Brexit-Aktivistin und Geschäftsfrau Gina Miller will juristisch gegen den Plan Johnsons vorgehen. Sie habe eine "dringende juristische Überprüfung" der Zwangspause beantragt. Die von Johnson erwirkte verlängerte Parlamentspause sei "illegal". Miller hatte 2017 mit einer Klage erzwungen, dass Johnsons Vorgängerin Theresa May das britische Parlament in den Prozess zur Vorbereitung des EU-Austritts einbeziehen musste.
Petition hat mehr als eine Million Unterstützer
Auch in Teilen der Bevölkerung ist der Zorn über Johnsons Entscheidung groß. Im ganzen Land kam es zu Protesten. Eine Petition gegen das Vorhaben des Premiers hat bereits mehr als 1,3 Millionen Unterstützer.
Am Mittwochabend waren aus Protest gegen die Zwangspause für das Unterhaus in mehreren Städten des Landes Tausende Menschen auf die Straßen gegangen. In London versammelten sich Demonstranten vor dem Parlament und vor Johnsons Amtssitz in der Downing Street. Sie forderten ein Ende des "Putsches" und schwenkten Europa-Fahnen.
Dem Parlament bleibt kaum Zeit
Johnson hatte am Mittwoch die Kronrede von Königin Elizabeth II. mit der Vorstellung seines Regierungsprogramms auf den 14. Oktober terminiert und beantragt, das Unterhaus, das derzeit im Sommerurlaub ist, nur wenige Tage im September tagen zu lassen und dann zu beurlauben. Die Königin, die sich traditionell aus der Innenpolitik heraushält, stimmte zu. Danach bleibt den Abgeordneten kaum Zeit, einen EU-Austritt Großbritanniens am 31. Oktober ohne Vertrag zu verhindern.
Der für Parlamentsfragen zuständige Minister und Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg sagte, die Empörung über Johnsons Entscheidung sei künstlich aufgebauscht. Die Parlamentspause sei "absolut verfassungskonform und korrekt", so der Tory-Politiker. "Es wird viel Zeit zur Debatte geben vor dem 31. Oktober. Das Parlament wird dann zusammenkommen und wird die Möglichkeit haben, die Anträge zu stellen, die es stellen will." Die Entrüstung sei unecht und werde produziert von Leuten, "die nicht wollen, dass wir die Europäische Union verlassen".
"Ein noch nie da gewesener Verstoß"
Der Labour-Politiker und Schattenminister für Internationalen Handel, Barry Gardiner, kontert im Gespräch mit der BBC. "Schauen Sie sich heute die Zeitungen in diesem Land an", sagte sie. "Jeder ernstzunehmende Kommentator sagt, dass dies ein noch nie da gewesener Verstoß ist. Es könnte sein, dass sogar noch das oberste Gericht darüber entscheiden muss, ob das rechtmäßig ist." Johnsons Vorgehen sei dazu gedacht, das Parlament daran zu hindern, ein Gesetz gegen den No-Deal-Brexit zu verabschieden.
Tatsächlich will die Opposition trotz des neuen, engen Zeitplans versuchen, ihre Gesetzesinitiative noch auf den Weg zu bringen. Am kommenden Dienstag kehren die Parlamentarier zurück aus der Sommerpause. Dann haben die Abgeordneten aber nur wenige Tage Zeit, bevor sie in der Woche darauf wieder beurlaubt werden.
Zudem befürchtet die Opposition, dass sich die Regierung aufs Filibustern verlegen wird - dass sie also Endlosdebatten ansetzt, um Zeit zu schinden.