Nach Zwischenbilanz Brexit-Gespräche sollen intensiviert werden
Die bisherigen Brexit-Verhandlungen waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. Deshalb haben die EU und Großbritannien nun beschlossen, den Gesprächen neuen Schwung zu verleihen: Sie sollen im Juli intensiviert werden.
Die Europäische Union und Großbritannien haben sich auf einen neuen Anlauf für Verhandlungen über ein Handelsabkommen nach dem Brexit verständigt. Man sei sich einig, dass "neuer Schwung erforderlich" sei, erklärten beide Seiten nach einem Spitzentreffen.
Aus London hieß es, man hoffe auf eine Einigung bis zum Ende des Sommers. Eine Verlängerung der Übergangsphase soll es auf Wunsch der Briten nicht geben, wie noch einmal offiziell festgehalten wurde. Die von den Unterhändlern vereinbarte Intensivierung der Gespräche im Juli begrüßten beide Seiten.
Zwischenbilanz in der Videokonferenz
Seit März hatten Unterhändler in vier intensiven Gesprächsrunden praktisch keine Fortschritte erreicht. Nun zogen Johnson und die EU-Spitzen in einer Videokonferenz Zwischenbilanz. Auf EU-Seite nahmen daran Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Parlamentspräsident David Sassoli teil.
Großbritannien war Ende Januar aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsfrist bis zum Jahresende gehört das Land aber noch zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion, sodass sich im Alltag fast noch nichts geändert hat. Gelingt kein Vertrag über die künftigen Beziehungen, könnte es Anfang 2021 zum harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen kommen.
Johnson ist laut Medienberichten zu "No Deal Brexit" bereit
Johnson ist nach britischen Medienberichten bereit, bei weiterem Stillstand der Verhandlungen einen "No Deal Brexit" zum Jahresende hinzunehmen. Großbritannien werde ab Januar eine unabhängige Handelsnation werden können, "egal was" bei den Verhandlungen mit Brüssel geschehe.
Die EU bietet dem Vereinigten Königreich ein umfassendes Handelsabkommen mit Zugang zum EU-Markt ohne Zölle und Mengenbegrenzung, fordert dafür aber gleiche Wettbewerbsbedingungen mit hohen Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards. Großbritannien will jedoch keine Vorgaben der EU akzeptieren.
Weitere wichtige Streitpunkte sind der Zugang von EU-Fischern zu den reichen britischen Fischgründen und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei Streitigkeiten der Vertragspartner. Aus Sicht Großbritanniens könnte die langfristige Bindung an EU-Standards ein weitreichendes Handelsabkommen mit den USA verhindern.
Das Versprechen von der Rückkehr zur globalen Handelsnation war zentral für die Brexit-Kampagne. Allerdings sind sich Experten einig, dass durch ein Abkommen mit Washington der Verlust des EU-Marktzugangs bei Weitem nicht wettgemacht würde.
Experte: Verständnis für Position der Briten
Der Direktor der wirtschaftswissenschaftlichen Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff, rief auch die EU-Seite zu Kompromissbereitschaft auf: "Ich denke schon, dass auch die EU-Mitgliedsländer noch einmal darüber nachdenken müssen: Wollen wir einen Deal oder wollen wir keinen?", sagte er dem ARD-Studio Brüssel.
Es müsse verhindert werden, "dass es einen Subventionswettlauf und ein Wettrennen um die niedrigsten Standards gibt. Aber das bedeutet nicht, dass alles vom Europäischen Gerichtshof und von den europäischen Institutionen kontrolliert werden müsste. Ich kann es absolut nachvollziehen, dass die Briten sagen, 'wir wollen nicht mehr EU-Recht in Großbritannien haben'."
Die deutsche Wirtschaft warnt eindringlich vor einem Bruch ohne Vertrag. "Ein erschwerter Datenaustausch, die Einführung von Zöllen und die Unterbrechung von Lieferketten nach der Übergangsphase wären wahrscheinlich", erklärte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. "Definitiv müssten sich die Unternehmen auf unterschiedliche Standards und deutlich längere Abfertigungszeiten für den Transport von Waren an den Grenzen sowie auf Zollanmeldungen gefasst machen."