Neue EU-Leitlinien Fake News melden - Akteure enttarnen
Monatliche Berichte, ein leichterer Zugang zu Servern: Die EU-Kommission will soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter verpflichten, im Kampf gegen Desinformation mitzuwirken. Sie haben künftig Rechenschaftspflicht.
Verschwörungstheorien, Hassbotschaften, Fake News - keine neuen Phänomene, aber Dank einer ständig wachsenden Zahl an digitalen Verbreitungswegen sind sie weiterhin auf dem Vormarsch. Eine Entwicklung, die die EU-Kommission schon seit längerem mit Sorge verfolgt, da Desinformation Misstrauen schüre, den sozialen Frieden gefährde und den inneren Zusammenhalt der westlichen Gesellschaften zu untergraben drohe.
Demokratie, so formuliert es der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, sei ein System, das von Information angetrieben werde. Informationen seien ihr "Rohstoff". Wenn die Menschen sich nicht verlässlich informieren könnten, sei es schwer für sie, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Unabdingbar, so der Spanier, seien daher Qualität, Fairness und das Vertrauen in Daten und Fakten.
Flut von Falschinformationen
In Zeiten von Corona wiegt diese Erkenntnis doppelt schwer, erweist sich die Seuche doch als wahrer Brandbeschleuniger für haarsträubende Lügengeschichten und Falschmeldungen, die teilweise sogar geeignet sind, die Gesundheit ihrer Empfänger ernsthaft zu gefährden. Erwähnt sei hier die absurde Empfehlung, Chlorbleiche zu trinken könne die Infektion stoppen; oder die Behauptung, Händewaschen bringe nichts.
Bereits vor Wochen hatte die Internet-Task-Force der EU-Kommission Alarm geschlagen und bekanntgegeben, dass mit dem Ausbruch von Covid-19 auch die Anzahl irreführender und vorsätzlich unwahrer Berichte, die im Netz zirkulieren, dramatisch zugenommen habe.
Teils gezielte Kampagnen
Teilweise massiv unterstützt und befeuert von ausländischen Mächten, namentlich Russland und China, die darauf aus seien, der EU und ihren Mitgliedsstaaten zu schaden, so Chefdiplomat Borrell. Er spricht von einer "anderen Sorte Virus", das sich quasi im Schlepptau der Pandemie verbreitet und eine "Infodemie" ausgelöst habe.
Gegen diese andere, potenziell ebenfalls tödliche Krankheit, will die EU-Kommission mit ihren neuen Leitlinien für soziale Netzwerke verstärkt vorgehen. Man habe die Pflicht, die Bürger auf falsche und schädliche Inhalte aufmerksam zu machen und die verantwortlichen Akteure zu enttarnen.
Monatliche Berichte der sozialen Netzwerke
Als natürliche Verbündete in diesem Kampf sieht die EU Online-Plattformen wie Facebook, Twitter, Tiktok oder Instagram. Sie alle sollen sich an der Fake-News-Front deutlich mehr als bisher engagieren und ihre Maßnahmen gegen das Verbreiten von Desinformation auch transparenter machen.
Konkret will man die Betreiber der Netzwerke etwa verpflichten, künftig monatlich einen entsprechenden Bericht über aufgedeckte Falschnachrichten, deren Reichweite und Urheber zu veröffentlichen. Die EU-Kommission fordert WhatsApp & Co. außerdem auf, enger mit professionellen Faktencheckern und Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten und ihnen leichter Zugang zu ihren Servern zu gewähren.
Impfungen als nächstes "Schlachtfeld"
Viel habe man schon erreicht, doch es sei dringend nötig, mehr zu tun, betont die Kommission. Denn, so deren Vizepräsidentin, Vera Jourova, die Flut an Fake News werde leider so schnell nicht versiegen:
"Das Thema Impfungen scheint das nächste Schlachtfeld zu werden. Eine Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, in Deutschland in weniger als zwei Monaten um 20 Prozentpunkte gesunken ist."
"Kein Wahrheitsministerium"
Jourova, die auf ihre Jugend in der kommunistischen Tschechoslowakei verweist, stellt zugleich klar: Es gehe nicht um Zensur oder darum, ein "Wahrheitsministerium" à la George Orwell zu errichten. Es gehe vielmehr darum, die Dinge richtig zu stellen, freie Medien zu stärken und die Menschen widerstandsfähiger gegen Lügen zu machen.
In diesem Zusammenhang lobt die Kommissarin ausdrücklich den Kurzmitteilungsdienst Twitter. Das Unternehmen hatte unlängst zweifelhafte Tweets von US-Präsident Donald Trump mit einem extra Link versehen, der den Usern helfen sollte, sich selbst ein Bild von den Tatsachen zu machen.
"Die Bürger profitieren vom fairen Wettbewerb der freien Meinungsäußerung. Deswegen unterstütze ich die Reaktion von Twitter auf Präsident Trump. Sie haben seine Tweets nicht gelöscht. Wir alle können das sehen. Sie haben für geprüfte Information und Fakten gesorgt."
Erste Erfolge gibt es
Positiv bewertet Jourova auch das Vorgehen von Facebook, das weltweit rund zwei Milliarden Mal Nutzer auf Info-Seiten der Weltgesundheitsorganisation WHO und anderer öffentlicher Stellen weitergeleitet habe. Google und Ebay seien gegen den Verkauf gefälschter und überteuerter Medizinprodukte vorgegangen.
Trotz solcher Erfolge: Der neue Ansatz der Kommission zeigt auch, ihre bisherige Strategie, die weitgehend auf Freiwilligkeit beruhte, war nur mäßig wirksam. Im Oktober 2018 hatte die EU, mit Blick auf die Europawahlen, mit Google, Facebook und Twitter einen Verhaltenskodex vereinbart.
Darin hatten sich die Firmen verpflichtet, Verbreitern von Falschinformationen Werbeeinnahmen zu entziehen und gegen den Missbrauch automatisierter Bots vorzugehen. Verhindern konnte das die aktuellen Auswüchse in der Corona-Krise offensichtlich nicht.