EU-Reaktionen auf Brexit Brüssels Plan B
Die Briten diskutieren - wieder einmal - hitzig das Brexit-Prozedere. Bei der EU in Brüssel dagegen übt man sich in Gelassenheit. Neue Vorschläge aus London gebe es nicht. Und man sei gut auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Trotz aller Turbulenzen in London, für die EU steht fest: Es gibt eine britische Regierung. "Junckers Ansprechpartner in Sachen Brexit bleibt Boris Johnson", stellte die EU-Kommissionssprecherin klar. Auch wenn der britische Premier seine Mehrheit im Parlament verloren hat.
Fest steht für die EU auch, dass sie im Fall eines ungeregelten Brexit konkret helfen wird. Und zwar mit 780 Millionen Euro aus dem dem Solidaritäts- und Globalisierungsfond der EU. Vor allem in Irland, wo im Fall eines Chaos-Brexit nach Berechnungen der irischen Zentrablank bis zu 35.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Aber auch anderen EU-Staaten, deren Exportwirtschaft stark mit dem Vereinigten Königreich verflochten ist. Oder in potentiellen Brexit-Notstandsgebieten wie dem belgischem Flandern mit seinen Seehäfen Antwerpen und Zeebrügge, über die ein Großteil des EU-Warenverkehrs mit Großbritannien abgewickelt wird.
Rechnet mit ungeregeltem Brexit: EU-Chefunterhändler Michel Barnier
Bislang keine Vorschläge aus London
Die Kommission stellte aber auch klar: Das Vereinigte Königreich hat als Verursacher des Brexit keinen Anspruch auf die finanzielle Solidarität der EU - auch wenn britische Steuergelder in den Solidaritäts- und in den Globalisierungsfond der EU geflossen sind.
Konkrete Vorschläge, über die EU-Chefunterhändler Michel Barnier mit seinem britischen Kollegen David Frost verhandeln könnte, gibt es laut EU-Kommission bisher nicht. Die Regierung von Boris Johnson habe keinen Vorschlag gemacht, betonte das Team von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Immerhin steht Barnier in Gesprächskontakt mit seinem britischen Counterpart Frost. Und man ist sich einig, dass es schon bald Gespräche auf technischer Ebene geben soll.
Alter Plan B ist neuer Plan B
Zur grundsätzlichen Neuverhandlung des Ausstiegsvertrags ist die EU zwar nicht bereit. Aber sie hat für alle Fälle einen Plan B in der Schublade - das ist der Plan, den Brexit-Unterhändler Barnier ausgearbeitet hatte und mit dem Johnsons Vorgängerin Theresa May auch einverstanden war - allerdings nicht ihr nordirischer Koalitionspartner DUP. Dieser Plan sieht eine EU-Außengrenze in der irischen See statt auf der irischen Insel vor. Der Vorteil: keine Spaltung der irischen Insel, keine Gefährdung des Friedens in Nordirland, keine Notwendigkeit eines Backstops. Außerdem müsste Großbritannien nicht in der Zollunion mit der EU verbleiben, sondern könnte sofort auf eigene Faust Handelsverträge abschließen.
Die offene Frage ist nun, ob Premier Johnson und das Parlament eine Seegrenze zwischen Großbritannien und Nordirland akzeptieren. "Abwarten und Tee trinken" lautet derzeit das Motto in Brüssel. Spätestens auf dem EU-Gipfel im Oktober muss die britische Regierung aber Farbe bekennen. Wenn sich die irische Regierung im Oktober unter dem Druck des drohenden Chaos-Brexit mit einem befristeten Backstop einverstanden erklärt, wird sich die EU dem nicht entziehen. Doch zunächst ist Premierminister Johnson am Zug.