EU-Gipfel will Juncker nominieren Es droht die Kampfabstimmung
Die Ukraine-Krise, potenzielle neue Mitglieder und alte Spardebatten: Der EU-Gipfel ist reich an Themen. Überstrahlt wird alles von der Personalie Juncker. Er soll als Kommissionschef nominiert werden - auch gegen den Willen Großbritanniens.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Gipfelchef Herman van Rompuy beließ es nach dem Abendessen in Ypern bei einer spärlichen Zwei-Zeilen-Mitteilung: Es habe einen Gedankenaustausch über die strategische Ausrichtung der EU in den kommenden Jahren gegeben. Und diese Diskussion werde am Mittag in Brüssel fortgesetzt, ließ er verbreiten.
So wenig Mitteilungsbedürfnis war selten. Es ist allerdings auch ein besonderer Gipfel. Zum ersten Mal könnte es heute zu einer Kampfabstimmung kommen: Der britische Premier David Cameron will sich partout nicht damit abfinden, dass Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der bei den Europawahlen vorn liegenden konservativen Parteienfamilie für den Vorsitz der EU-Kommission nominiert wird. An seiner Seite weiß er nur den Regierungschef Ungarns, Viktor Orban. Anfängliche Verbündete wie Mark Rutte aus den Niederlanden sind abgesprungen: "Obwohl wir nicht sicher sind, dass Juncker der perfekte Kandidat für den Job ist, haben wir entschieden, ihn zu unterstützen", sagte Rutte.
Der Bundeskanzlerin ist nicht wohl dabei, dass Cameron sich so ins Abseits manövriert hat. Deshalb will Angela Merkel dem Briten auf anderen Gebieten entgegenkommen: "Deshalb müssen wir schauen, dass wir bei den inhaltlichen Fragen eines hohes Maß an Gemeinsamkeit erreichen. Ich denke, hier können wir mit Großbritannien sehr gute Kompromisse finden."
Investieren oder Sparen?
Und um solche Inhalte ging es auch beim Abendessen. Die Regierungschefs sprachen über das Arbeitsprogramm für die nächste EU-Kommission. Wachstum und Jobs sollen noch mehr in den Mittelpunkt gestellt werden. Die sozialistischen Regierungschefs von Italien und Frankreich wollen das durch massive Investitionen und eine Lockerung der Sparzwänge erreichen.
Die Bundeskanzlerin hält aber die Fahne der Haushaltskonsoliderung und der Strukturreformen hoch. Unterstützt wird sie dabei unter anderem vom frisch gebackenen finnischen Ministerpräsidenten Alexander Stubb. "Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir uns an die vereinbarten Regeln halten. In dieser Frage gehöre ich zu den Hardlinern", sagte er.
Gedenken zum Auftakt
Es hat sich also einiges an Konfliktpotential aufgebaut. Aber der Streit um die Personalien und um die richtige Balance zwischen Sparen und Investieren, der sollte gestern zum Auftakt des Gipfels erst einmal in den Hintergrund treten.
Denn fast auf den Tag genau 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte Gipfelchef van Rompuy die europäischen Staatenlenker zum gemeinsamen Gedenken nach Ypern gebeten. Denn die westflämische Stadt steht wie kaum eine andere für die Schrecken des Krieges. In den Schützengräben um Ypern starben damals gut eine halbe Million Soldaten. Erstmals setzten die Deutschen hier Giftgas ein.
Hermann van Rompuy fand starke Worte: "Die Explosionen, das Gas, der Gestank, die Angst - sinnlos, endlos, unbarmherzig." Gemeinsam wohnten die Staats- und Regierungs dem täglichen Zapfenstreich zum Gedenken an die Kriegstoten bei, gemeinsam hielten sie eine Schweigeminute ab und gemeinsam weihten sie eine Friedensmahnmal ein. Und Merkel hofft, dass das gemeinsame Erinnern auch über den Tag hinaus verbindend wirkt: "Ich habe immer wieder vom europäischen Geist gesprochen und ich hoffe, dass der uns auch hilft, vernünftige Lösungen zu finden."