Zensurgesetze in China Die gezähmte Punkrock-Szene von Shanghai
Setlists, die vor jedem Auftritt bis zu einzelnen Liedzeilen genehmigt werden müssen, Metaphern und Andeutungen statt Kritik: Shanghais Punkrock-Musikszene ist streng der Zensur unterworfen - und floriert doch.
Wer sie das erste Mal besuchen will, muss die Rockkneipe im Untergeschoss eines typisch chinesischen Kaufhauses in Shanghai ein bisschen suchen: vorbei an winzigen roten Plastikstühlchen, die im Obergeschoss vor den Restaurants stehen, dann eine Treppe hinunter. Nur etwas mehr als 100 Gäste haben dort Platz, auf der Bühne rocken die beiden Frontsängerinnen der Punkband Mamahuhu lässig ihre E-Gitarre und den Bass. "Unsere tiefste Bestimmung ist ein rebellisches Herz", erzählt Gitarristin Maya nach ihrem Konzert. "Aber wir drücken es auf positive Weise aus. Wir machen Musik, um unsere Einstellung zu zeigen."
Maya und Sero sind als Punks ziemlich alternativ in China, wo es wenige Punkbands gibt - und noch weniger Punkbands, in denen Frauen spielen. So richtig rebellisch und nonkonform dürfen sie allerdings nicht sein: "Shut up", "Halt Deinen Mund" dürfen sie im Konzert zum Beispiel nicht sagen. Ihre Liste an Liedern mit Songtexten muss vorher angemeldet und genehmigt sein - wie bei allen Konzerten in China. Ist eine Zeile beim Auftritt anders, kann es Ärger geben. Damit Bands überhaupt auftreten dürfen, müssen sie sich fügen. So funktioniert die Zensur in China.
Maya hat sich damit arrangiert: "Wir sind subtiler. Aber unsere Power ist trotzdem immer da", sagt sie. "Es gibt zum Beispiel Realitäten, die unserer Meinung nach sehr schlecht sind, aber wir nutzen unsere Songs, um sie auszudrücken. Auch wenn es nur implizit ist."
Auf der Bühne dürfen Mamahuhu nicht einmal "Halt den Mund" rufen - sonst drohen Auftrittsverbote oder ein Verschwinden ihrer Musik aus Läden und Internet.
"Du hast keine Wahl in China"
Die Konzertkneipe, in der die Band auftritt, gehört Zhang Haisheng. Seit fast 20 Jahren betreibt er zwei solcher Veranstaltungsorte in Shanghai. Yuyintang hat er sie genannt, das heißt übersetzt: die Musik nähren. Er möchte Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne bieten. An den Wänden kleben zahlreiche Aufkleber von den Bands, die hier bereits aufgetreten sind. Die Lampen und Klimaanlagen haben Staub gefangen, aber das gehört zum Flair der leicht abgeranzten Lokale. "In den 1990er- und 2000er-Jahren gab es recht viele Punkbands", erinnert sich Zhang. "In Beijing, in Shanghai, in Nanjing. Alle hatten bekannte Punkbands. Aber jetzt gibt es weniger. Heutzutage gibt es sowas wie Pop Punk. Es ist nicht immer so direkt wie Oldschool Punk."
Die chinesische Zensur sei sehr viel strenger geworden, beobachtet er. Insgesamt ist seit der Machtübernahme von Staats- und Parteichef Xi Jinping vor mehr als zehn Jahren vieles restriktiver geworden. Nationalismus und Zensur haben sich verschärft.
"Die Bands wollen wahrscheinlich überleben. Du hast keine Wahl in China", sagt Zhang. "Wenn du einen offiziellen Auftritt haben willst, brauchst du die Erlaubnis der regionalen und kommunalen Kulturbehörde. Und wenn die Songtexte übermäßig rebellisch sind, dann bist du der Erste, der von der Regierung keine Genehmigung erhält."
Lieder oder Bands werden verboten
Es gibt auch Lieder, die in der Volksrepublik gar nicht gespielt werden dürfen: der Song zum Beispiel, mit dem Zhou Yunpeng als Musiker in China bekannt geworden ist. Eine Million Fans folgen ihm im chinesischen Online-Netzwerk Weibo. Mit dem Lied "Zhongguo Haizi", durfte er jahrelang auftreten - bis 2017. Dann wurde der Song verboten. "Sei kein Kind von Menschen in China", singt er darin, und zählt mehrere Missstände in verschiedenen Städten und Regionen auf. Auch im chinesischen Internet ist der Song nicht mehr zu finden. Zhou selbst hat keine Kopie mehr von seinem eigenen Song, auf YouTube ist er außerhalb Chinas noch verfügbar.
Einige Bands sind in China gleich ganz verboten - zum Beispiel die Kombo "My Little Airport" aus Hongkong. Sie hatte unter anderem Songs zu den prodemokratischen Protesten 2019 in Hongkong geschrieben. Ein Fan dieser Band aus Festlandchina, der anonym bleiben will, berichtet, seine Fangruppe in chinesischen sozialen Netzwerken werde zensiert.
"Es gibt Dinge in China, über die man nicht sprechen darf. Es ist absolut unmöglich, etwas über 'My Little Airport' im Internet zu schreiben. Wenn du es tust, kommt es nicht durch die Zensur und andere werden es nicht sehen können. Jemand hat mal eine Jahres-Hitliste geschrieben, und 'My Little Airport' war dabei. Der Bandname stand nicht drauf, nur der Titel des Songs. Das Cover war geblurrt. Nur so ging es", erzählt er.
Die Polizei interpretiert - und zensiert
Nicht nur in der Musik wird in China zensiert. Betroffen sind Künstlerinnen und Künstler aus Malerei, Fotografie oder Performancekunst. In der hochmodernen Finanzmetropole Shanghai fällt es vor lauter Museen, Ausstellungen und Galerien an der Oberfläche kaum auf, dass das, was dort zu sehen ist, der Zensur unterliegt - selbst dann, wenn die Kunst gar nicht politisch ist. "Ich glaube nicht, dass Kunst etwas mit Politik zu tun haben muss. Oder dass man ein guter Künstler ist, nur wenn man Kunst mit Politik macht", meint Kuratorin Zhuang Lin. "Es gibt kein solches Kriterium für Kunst. Es ist nur so, dass das äußere Umfeld immer strenger wird. Manchmal werde selbst ich irgendwie zur Zensur gezwungen."
Zhuang Lin organisiert wechselnde Ausstellungen in einem alten Shanghaier Fahrradkeller, den sie renoviert hat. Ein unterirdischer, futuristisch verspiegelter Tunnel führt in ihre versteckte kleine Kunstgalerie. Der Keller ist hell erleuchtet, an den mintgrünen Wänden hängen lebensgroße Naturfotografien und abstrakte Gemälde.
Die Kuratorin Zhuang Lin kann die Verbotsentscheidungen der Polizei oft nicht verstehen: Sie interpretiere alles viel zu drastisch und gewaltsam, findet sie.
Seit zwei Jahren bekommt sie in ihrer Galerie regelmäßig Besuch von der sogenannten Kulturpolizei, der Abteilung, die dafür zuständig ist, Ausstellungen zu überprüfen. Die Polizisten kommen unangemeldet, schauen sich die Galerie an und bestimmen, was nicht ausgestellt werden darf. Eines der aussortierten Bilder hängt nun im Büro der Kuratorin: Es ist ein abstraktes Gemälde, ein grauer Hintergrund, darauf abstrakte Skizzen in bunten, eher blassen Farben. Obwohl kein leuchtendes Rot zu sehen ist, soll das Bild nach Angaben der Polizei zu blutig und gewaltsam sein.
Für sie ist das unverständlich: "Die Polizei interpretiert das, was sie gesehen hat, auf eine sehr einseitige Weise, es ist eine einseitige Verzerrung. Aber man muss das akzeptieren. Das ist der Prozess, den man durchlaufen muss. Die Polizei denkt, sie sei professioneller als ich: 'Du bist in China, dann musst du das akzeptieren. Okay? Oder die Galerie wird dicht gemacht.'"
"Schmetterling", ein Song über Freiheit
Die Punkband Mamahuhu in Shanghai hat zum Corona-Lockdown im vergangenen Jahr zwei Songs geschrieben. Zwei Monate lang waren die mehr als 25 Millionen Einwohner der Metropole Shanghai in ihren Häusern und Wohnungen eingesperrt. Einer der entstandenen Songs heißt "Butterfly", "Schmetterling", zarte Kritik im melodischen Punk.
"Die Schmetterlinge sollen ausdrücken, dass wir keine Angst mehr haben und aus unseren Kokons ausbrechen und fliegen werden", erklärt Maya. "Auch wenn der Text eher vage ist, haben wir unser Bestes gegeben, zu sagen, was wir sagen wollen. Ich hoffe, dass alle unsere Schreie hören können."
Wenn sie die Menschen vor der Bühne stehen sieht, ist Maya sich sicher, dass ihre Fans verstehen, was die Band sagen möchte. Auch wenn ihr Punk gezähmt ist.