Grenzregion im Südlibanon "Wir haben den Feind vor der Haustür"
Die Sicherheitslage im Südlibanon gilt schon lange als angespannt. Nun aber lebt kaum noch jemand in der Region, aus der die Hisbollah operiert. Die "zweite Front" gegen Israel, vor der Experten warnen, scheint bereits Realität.
Das ist der letzte Checkpoint, bevor es in die Berge zur libanesisch-israelischen Grenze geht. Zwischen Stacheldraht und Betonblöcken kontrollieren ein paar Soldaten der regulären Armee noch mal die Ausweispapiere. Dahinter beginnt die Pufferzone, in der die Hisbollah-Miliz operiert. Feldwege, Straßen, die durch Täler und über Hochebenen führen, vorbei an leeren Dörfern und Höfen.
Gelegentlich fährt ein weißes, gepanzertes Fahrzeug der UN-Beobachtertruppe (United Nations Interim Force in Lebanon, UNIFIL) vorbei. Die Blauhelme registrieren hier den Beschuss, der von Tag zu Tag zunimmt - und mit ihm die Angst der Libanesen vor dem großen, verheerenden Krieg.
Feuert die Hisbollah Granaten über die israelische Grenze, schlagen die Israelis zurück - oder umgekehrt. 17 Jahre lang war dieses Hin und Her ein böses, aber abgekartetes Spiel, bei dem beide Seiten feste Regeln befolgten. Es gab selten Tote und wenn, dann ließ man über die Blauhelme ausrichten, dass es nicht so gemeint war. Aber das ist seit dem 7. Oktober vorbei.
Nur ein paar hundert Familien sind geblieben
Fast 60 Hisbollah-Milizionäre sind angeblich schon getötet worden. Nun sind auf israelischer Seite Drohnen und Kampfjets im Einsatz, die islamistische Schiitenmiliz hat erste Boden-Luft-Raketen verschossen. Die zweite Front, vor der Militärexperten in Talkshows eindringlich warnen, scheint es hier längst zu geben. Noch ist es kein offener Krieg, aber alle bereiten sich darauf vor.
Beinahe 30.000 Menschen haben sich aus den grenznahen Ortschaften ins sichere Hinterland zurückgezogen. Die Pufferzone ist so gut wie entvölkert, nur ein paar hundert Familien sind trotz allem geblieben. Es gibt die Kriegsgefahr, sie ist akut. Aber es gibt auch den eigenen Grund und Boden. Das Haus, die Olivenbäume, die Weinberge.
Imad Khouri, ein alter Bauer aus der Kleinstadt Marschajun, sagt, er könne hier einfach nicht weggehen und alles dem drohenden Krieg überlassen. "Das wird dann hoffentlich der letzte Krieg sein, den ich erlebe. Seit meiner Kindheit - immer Krieg", sagt Imad. "Ich bin von hier, ich bin hier aufgewachsen. Wir brauchen endlich Frieden." Mehr wolle er nicht. "Bevor ich gehe, will ich das noch sehen." Während er redet, brettert ein Jeep mit bewaffneten Hisbollah-Milizionären über den Marktplatz. Imad schaut ihnen verständnislos hinterher.
Warten auf die Rede Nasrallahs
Von der Kleinstadt Marschajun aus geht es entlang der Grenze in die kleine Ortschaft Kfarkella. Sie liegt an einem Hügel direkt an der Demarkationslinie. Unten im Tal erstreckt sich eine graue, hohe Mauer bis ins nördliche Gebirge hinein, direkt gegenüber - in Rufweite - ein israelischer Kibbuz. Tags zuvor gab es hier einen Schusswechsel. Die Hisbollah fing angeblich damit an, die Israelis schickten ein paar Granaten zurück. Ein leerstehendes Haus und ein paar Bäume am Ortsrand wurden getroffen. Jetzt ist es still in Kfarkela, die Läden sind verschlossen, nur ein Straßencafé hat geöffnet.
Kollegen vom staatlichen libanesischen Fernsehen Tele Liban sitzen am Tisch, darunter liegen Kamera und Splitterschutzwesten. Seit heute Morgen sind sie schon hier, trinken Tee, essen Erdnüsse und warten darauf, dass etwas Berichtenswertes passiert. Was das sein könnte, zeigt sich womöglich am Freitag. Scheich Hassan Nasrallah, Generalsekretär und geistliche Autorität der Hisbollah, wird in Beirut eine Rede halten, die womöglich über das Schicksal des Landes entscheidet.
"Er wird das Richtige für uns tun", sagt Zeinab Yassin, Krisenreporterin von Tele Liban. "Wir haben den Feind vor der Haustür. Wir können nicht einfach stillsitzen. Entweder steigen wir in diesen Krieg ein oder nicht. Ich vertraue Nasrallah."
Finanziell und politisch ein bankrottes Land
Womit im Grunde alles gesagt wäre, soweit es die Machtverhältnisse im Libanon betrifft: Das Land ist finanziell und politisch bankrott. Was in den nächsten Tagen und Wochen auf die Libanesen zukommen wird, liegt nicht in ihren Händen. Auch nicht in denen des provisorischen Regierungschefs Nadjib Mikati, der vor Kurzem in einem Interview seine ganze politische Ohnmacht durchblicken ließ: "Der Libanon", sagte er, "befindet sich im Auge des Sturms. Soweit ich das beurteilen kann, ist die Hisbollah bislang rational und überlegt damit umgegangen. Aber ich kann den Libanesen nicht zusichern, dass es so bleiben wird."
Ob der Gaza-Krieg eingedämmt bleibt oder zum großen Krieg im Nahen Osten degeneriert, weiß derzeit vermutlich nur ein kleiner Kreis: Scheich Hassan Nasrallah und das Mullah-Regime im Iran, das die Hisbollah munitioniert.