Treffen in Bratislava Der EU-Selbstbesinnungs-Gipfel
In Bratislava treffen sich die EU-Regierungschefs, um über den künftigen Kurs der Union zu beraten. Laut EU-Ratspräsident Tusk stehen drei Herausforderungen im Mittelpunkt: Unkontrollierte Migration, Terrorismus und die Angst vor der Globalisierung. Doch die Gräben sind tief.
Die EU geht in sich. Und fragt sich - in einer Art Gruppen-Therapie - was da eigentlich schief gelaufen ist in den letzten Jahren. Warum die Briten mehrheitlich beschlossen haben, lieber ohne sie in die Zukunft gehen zu wollen. Und warum sich auch auf dem EU-Festland so viele Menschen abgewendet haben von Europa. Oder es gar zu fürchten scheinen.
"Für mich gibt es keinen Zweifel, dass die drei großen Herausforderungen lauten: Unkontrollierte Migration, Terrorismus und die Angst vor der Globalisierung", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. In seinem Gipfel-Einladungs-Schreiben zeichnete er ein - wie er es wohl ausdrücken würde - "ungeschminktes" Bild der EU, das andere aber als fast schon "apokalyptisch" empfanden. Jedenfalls geht Tusk mit Europa hart ins Gericht: "Nie wieder können wir es zulassen, dass unsere Grenzen von Wellen irregulärer Migranten überrannt werden so wie im Jahr 2015", heißt es in dem Schreiben.
Nachtreten gegen Merkel?
Ob das als verbales Nachtreten gegen die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin gemeint war, sei dahingestellt. Jedenfalls ist der anklagende Tusk-Brief ein schriftlicher Beleg dafür, wie schwierig es die EU haben wird, wieder zueinander zu finden. Zu zerstritten ist man derzeit in Grundsatz-Fragen - und auch in wirtschaftlichen: Mehr sparen oder mehr investieren, ist nur eine von ihnen.
"Ich halte überhaupt nichts davon, jetzt Grundsatzdebatten zu führen: Wie soll Europa in 10 oder 100 Jahren sein? Das kann man, jetzt wo die Hütte brennt, an Universitäten von morgens bis abends machen", sagte Herbert Reul, Vorsitzende der CDU-CSU-Gruppe im EU-Parlament. "Von der aktiven Politik erwarten die Menschen, dass sie die Probleme, die jetzt da sind, löst. Ende und Schluss."
Um eine Selbst-Blockade zu vermeiden, dürfte sich die EU nun wohl auch auf jene Projekte stürzen, bei denen sich überhaupt Einigkeit erzielen lässt. Einige hat EU-Kommissionschef Juncker in seiner Rede zur Lage der Union benannt, die Digitalisierung etwa. "Wir schlagen vor, bis 2020 die Zentren jedes europäischen Dorfes und jeder europäischen Stadt mit freiem Wifi auszustatten", sagte Juncker.
Zeit der Visionen ist erst einmal vorbei
Auch das Thema Sicherheit ist eines, bei dem sich gerade viel bewegt, wenn nicht gar beschleunigt. Bei jenen Themen also, die die EU-Bürger Umfragen zufolge am meisten bewegen. Kurz: Die EU wird versuchen, zu vermitteln, dass sie den Menschen durchaus gut tut. Dass sie mehr für sie tun kann als deren auf sich gestellte Heimatstaaten. Ob das gelingt, ist offen.
"Wir können in Zeiten von Renationalisierungs-Tendenzen nur sehr schwer vorwärts, was fatal ist", warnte verdi-Chef Frank Bsirske. "Das Ergebnis ist ein Sich-Durchwurschteln." Klar ist: Die Zeiten weitblickender Zukunftspläne oder Visionen gar sind für die EU nach dem Brexit-Votum der Briten erst einmal vorbei. Jetzt geht es darum, jene Projekte ausfindig zu machen, mit denen sich Gräben verkleinern lassen. Jene Gräben, die quer durch die Mitgliedstaaten verlaufen. Und jene, die sich zwischen Europa und den Menschen aufgetan haben.