Verhandlungen zum EU-Haushalt Der Billionen-Kompromiss
Heute gehen die Verhandlungen von Mitgliedstaaten, Parlament und Kommission zum EU-Haushalt weiter. Eine der entscheidenden Fragen: Sollen Ländern, die Grundwerte verletzen, Gelder gestrichen werden?
Von Christian Feld, ARD-Hauptstadtstudio Berlin
Am 1. Juli hat Außenminister Heiko Maas von seinem kroatischen Kollegen Gordan Grlic Radman am Brandenburger Tor den symbolischen Staffelstab überreicht bekommen. Noch hilfreicher wäre wohl ein Zauberstab gewesen, der Superkräfte verleiht. Denn wie massiv die Brocken sind, die die Bundesregierung mit der EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, zeigt sich in diesen Tagen.
Außenminister Maas hat schwierige Verhandlungen vor sich.
Es geht um sehr viel Geld: 1,8 Billionen Euro. Es geht aber auch um die selbst gesetzten Ansprüche der Bundesregierung: Der Schutz von Grundwerten und Rechtsstaatlichkeit sollte eigentlich "absolute Priorität" in der Präsidentschaft genießen, hatte Angela Merkel angekündigt.
Neutrale Vermittlung oder klare Haltung?
Geld und Grundwerte - über eine Verknüpfung von beidem ringen ab morgen Unterhändler von Mitgliedstaaten, EU-Parlament und Kommission. Hinter dem sperrigen Begriff Rechtsstaatsmechanismus verbirgt sich die zentrale Frage: Müssen EU-Mitglieder, die den Rechtsstaat abbauen, befürchten, dass sie weniger EU-Fördergeld bekommen? Außerdem wird in Brüssel über 1800 Milliarden Euro verhandelt: den EU-Haushalt 2021 bis 2027 sowie den Geldtopf zur Bekämpfung der Pandemiefolgen. Es ist verknotetes Geflecht von sehr unterschiedlichen Interessen und Positionen.
In diesen zeitgleichen Verhandlungen kommt der deutschen Ratspräsidentschaft eine besondere Rolle zu. Als "ehrlicher Makler" muss sie Kompromisse schmieden, damit die Corona-Hilfen rechtzeitig zum Jahreswechsel zur Verfügung stehen. Besteht die Gefahr, dass dabei die eigenen Vorstellungen unter die Räder kommen? Die Rechtstaatlichkeit sei der "Wesenskern unserer Rechts- und Wertegemeinschaft", sagt Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Es geht um unsere Glaubwürdigkeit. Da müssen wir Haltung zeigen." Dass man "ernsthaft innerhalb der EU Zweifel an der strikten Einhaltung der Grundwerte" haben müsse, findet Roth "schmerzhaft".
Streitpunkt Rechtsstaatsmechanismus
Doch kämpft Deutschland energisch genug gegen solche Verstöße? Die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, wirft der Bundesregierung vor, die eigenen Ansprüche über Bord geworfen zu haben. Sie verstecke sich hinter der Moderationsrolle, statt zu gestalten: "Sie sieht sich als Frühstücksdirektor, dabei sollte sie Antreiber sein", sagt Brantner. Deutschland hatte kürzlich einen Kompromisstext vorgelegt und dafür auch im Kreis der Mitgliedstaaten eine Mehrheit bekommen. Das sei ein "Papiertiger", findet Brantner: "Die Bundesregierung hat aus dem Rechtsstaatsmechanismus den Rechtsstaat gestrichen."
Die Grünen-Abgeordnete Brantner wirft der Bundesregierung vor, ihre Ideale zu verraten.
Der deutsche Vorschlag sieht die Kürzungen von EU-Geldern nur dann vor, wenn der Rechtsbruch direkte Auswirkungen auf die Finanzen der EU hat. So ließen sich zwar Korruption und Betrug bestrafen, nicht aber gravierende Rechtsverstöße wie die Einschränkung der Pressefreiheit oder politischer Druck auf die Justiz. Dagegen regt sich Widerstand im EU-Parlament, mit dem jetzt verhandelt werden muss.
Unabhängige Gerichte und Medien seien essenziell, um die ordentliche Vergabe von EU-Mitteln zu kontrollieren, bekräftigt CSU-Mann Manfred Weber im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Er führt die christdemokratische EVP-Fraktion an, die größte im EU-Parlament. "Manche Überlegungen der Mitgliedstaaten sind eher darauf angelegt, dass der Mechanismus nicht zum Einsatz kommt", sagt Weber.
Als "ehrlichem Makler" die Hände gebunden?
Maas sagt: "Ich hoffe, dass das Europäische Parlament das, was es für richtig hält, in diese Debatte einbringen wird." Vielleicht kommt es ja nicht ungelegen, dass die Abgeordneten Druck aufbauen, wo dem "ehrlichen Makler" die Hände gebunden sind - solange es am Ende zu einem Ergebnis kommt.
Der deutsche Außenminister sitzt Anfang der Woche in Berlin bei einer Buchvorstellung neben seinem luxemburgischen Kollegen Jean Asselborn. Maas verteidigt den neuen Mechanismus - trotz aller Kritik - als "qualitative Weiterentwicklung": "Wir werden dann ein zusätzliches Instrument haben, dass sehr schmerzhaft ist für die Länder wie Ungarn oder Polen." Asselborn sieht in den laufenden Verhandlungen eine Chance, Druck auf Länder zu machen, die den Rechtsstaat nicht ernst nehmen würden: "Die Chance bekommt man vielleicht in den nächsten zehn Jahren nicht mehr", sagt er.
Länder wie Luxemburg oder die Niederlande wünschen sich ein schärferes Instrument. Dafür kämpft auch das Europäische Parlament, das selbstbewusst für seine Vorstellungen eintritt. Ungarn dagegen könnte aus Widerstand gegen den Rechtsstaatsmechanismus das gesamte Haushaltspaket blockieren. Oder ist das nur ein Bluff?
Die Gemengelage ist also komplex. Viel Zeit bleibt nicht für eine Einigung, damit zum Jahreswechsel die Corona-Hilfen zur Verfügung stehen. Käme der Billionen-Kompromiss nicht rechtzeitig zustande, hinterließe das einen hässlichen Flecken in der Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft.