Verbraucherrechte EU-weite Sammelklagen sollen kommen
Die EU-Mitgliedstaaten wollen grenzüberschreitende Sammelklagen ermöglichen. In Fällen wie dem Dieselskandal könnten Verbraucher damit künfitg Schadensersatz von Unternehmen einfordern. Bis dahin dauert es aber noch.
Es kam wie erwartet: Deutschland und Österreich enthielten sich der Stimme. Die Industrieminister aller anderen EU-Staaten sprachen sich heute in Brüssel dafür aus, dass Verbraucher aus verschiedenen EU-Staaten aus demselben Grund und gegen dasselbe Unternehmen grenzüberschreitend klagen können - zum Beispiel mit Hilfe von Verbraucherschutzorganisationen.
Diese Mehrheitsentscheidung der Minister bedeutet einen wichtigen ersten Schritt, damit sich Konsumenten gegen Konzerne wehren können. Lange konnten sich die EU-Staaten in dieser Frage nicht einigen, nun gelang in Brüssel der Durchbruch.
Erste Klage wird noch dauern
Allerdings wird es noch eine Zeit lang dauern, bis Käufer und Konsumenten aus der gesamten EU - zum Beispiel wegen des Abgasskandals - tatsächlich gemeinsam und mit Hilfe anerkannter Institutionen gegen Automobilkonzerne klagen können. Denn es reicht nicht, dass die Mitgliedsstaaten einem Richtlinienentwurf der EU-Kommission zustimmen. Das EU-Parlament muss die Sammelklagenrichtlinie auch noch mehrheitlich verabschieden.
EU-Kommission, Mitgliedsländer und Europaparlamentarier müssen sich also auf einen Richtlinientext einigen. Und das dauert. Dennoch: Ein Anfang ist gemacht. Die Verhandlung zur konkreten Ausarbeitung der künftigen EU-Richtlinie für EU-weite Sammelklagen kann sofort beginnen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht darin einen großen Fortschritt, sollte zum Beispiel eine Bank rechtswidrige Gebühren einführen, die dann jahrelang von Tausenden von Bankkunden bezahlt werden. "Tausende Verbraucher haben die aber über Jahre gezahlt. Da ist der Schaden gleich gelagert", so Isabelle Buscke vom Brüsseler Büro des Verbands. Man kenne die Anzahl der Verbraucher und ihre Namen. "Und dann kann man das in einem Verfahren abräumen und sagen: ab sofort unterlassen. Und rechtswidrig erhobene Gebühren zurückzahlen."
Schadensersatz als Fortschritt für Verbraucher
Der Schadensersatz für den Verbraucher ist der entscheidende Vorteil einer erfolgreichen Sammelklage im Vergleich zum deutschen Modell der Musterfeststellungsklage, die zwar eine rechtswidrige Praxis beenden kann und dafür sorgt, dass keine weiteren Verbraucher geschädigt werden. Das helfe den bereits Geschädigten aber nicht weiter, um Schadensersatz zu bekommen. "Und deshalb ist diese Gesetzesinitiative so wichtig auch für Deutschland", betont Isabelle Buscke vom Verbraucherzentrale-Bundesverband gegenüber dem ARD-Studio Brüssel.
Nach Einschätzung der Bundesregierung könnte das deutsche Modell der Musterfeststellungsklage durch eine EU-Richtlinie zur Sammelklage überflüssig werden.
Bundesregierung fordert Nachbesserung
Stefan Wernecke vom Deutschen Industrie-und Handelskammertag sieht durch Sammelklagen weniger Großkonzerne wie VW oder Großbanken gefährdet als vielmehr kleine und mittlere Unternehmen. "Wie sieht es aus, wenn sie als Mittelständler vor einer Armada von US- Anwälten stehen, die dann mit solchen Klagen drohen?"
Doch die Industrieminister verständigten sich heute in Brüssel darauf, dass Verbraucher und Verbraucherschutzorganisationen ihre Klage nicht einfach in einem Land einreichen können, in dem die höchsten Schadensersatzleistungen winken, weil dort ein besonders verbraucherfreundliches Rechtssystem herrscht. Sammelklagen in der EU bedeuten nach Ansicht des Europaparlamentariers Sven Giegold keineswegs zwangsläufig amerikanische Verhältnisse in der EU.
Grünen-Politiker Sven Giegold hält die Sorge vor Klagewellen wie in den USA für unbegründet.
Die Bundesregierung ist in diesem Punkt skeptischer. Sie dringt darauf, dass die Richtlinie nachgebessert wird, um missbräuchliche und ruinöse Sammelklagen zu verhindern. Nur unter dieser Voraussetzung hat sich Berlin heute in Brüssel der Stimme enthalten.