Debatte über EU-Erweiterung Weiter wachsen oder warten?
Die Erweiterung auf 27 Staaten ging einigen in der EU zu schnell. Ohne Reformen soll die Union nicht weiter wachsen. Doch die Liste der Kandidaten ist lang. Während Kroatien schon bald EU-Mitglied werden könnte, entzweit die Türkei die EU-Regierungen.
Von Katrin Brand, WDR-Hörfunkstudio Brüssel
Olli Rehn nimmt seinen Job sehr ernst. Er ist der Kommissar für Erweiterung in der EU und so arbeitet er daran, die Europäische Union größer zu machen, zum Beispiel nach Südosten. "Die Kommission steht zu den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Wir alle wissen, dass es eine lange und mitunter schwierige Reise ist. Aber sie ist im fundamentalen Interesse der EU", sagte der Finne Mitte Mai. Er verwies dabei wie so oft darauf, dass die EU vor vier Jahren einstimmig beschlossen hat, mit der Türkei über den Beitritt zu verhandeln.
Doch von der Einstimmigkeit ist wenig übrig geblieben. Unter den Staats- und Regierungschefs sagen Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und andere ganz offen, dass sie die Türkei nicht aufnehmen wollen: weil sie mit ihren Reformen nicht voran kommt, weil sie zu groß und zu arm ist, und, aber das wird selten offen gesagt, weil sie nicht europäisch genug ist.
"EU braucht Phase der Konsolidierung"
Im Europaparlament gehen die Meinungen auseinander. Die CDU ist gegen den Beitritt, die FDP ist skeptisch, die Grünen und die Linkspartei sind dafür. Die SPD offiziell auch, doch hier ist die Zahl der Abweichler groß. Klaus Hänsch, der 30 Jahre lang für die SPD im Parlament saß, gehört dazu. Er ist - wie viele - erweiterungsmüde. "Wir haben mit der Osterweiterung genug zu tun, dass wir sie wirklich voll verkraften, nicht nur die beigetreten Staaten, sondern auch die EU", sagt Hänsch. Er sei der festen Überzeugung, "dass die Europäische Union eine längere Phase der Konsolidierung braucht".
Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland, Littauen, Rumänien und Bulgarien: All diese osteuropäischen Staaten sind in den vergangenen fünf Jahren der EU beigetreten. Das Musterländchen Slowenien führte schon bald den Euro ein. Andere bereiten der EU noch große Sorgen: Rumänien und Bulgarien etwa, wo die Fördergelder aus Brüssel in dunklen Kanälen versickern.
Wirtschaftliche Vorteile durch Erweiterung
Auch dem CSU-Abgeordneten Ingo Friedrich ging das alles etwas zu schnell, aber "wirtschaftlich hat sich die Erweiterung für Deutschland bereits gerechnet". Für die neuen Staaten im übrigen auch. Besonders Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei sind eng mit ihren Nachbarn im Westen verflochten.
Doch die jüngste Erweiterung hat die EU auch groß und behäbig gemacht mit ihren nun 27 Staaten, 23 Sprachen, 27 Kommissaren und 785 Abgeordneten. Aber der Versuch, ihre Institutionen schlanker, beweglicher und demokratischer zu machen, kommt nicht voran. Der neue Verfassungsvertrag wurde abgelehnt, umgearbeitet und wieder abgelehnt.
Nur Kroatien winkt der schnelle Beitritt
Ohne Reform keine neuen Mitglieder, fordern deshalb Sarkozy und Merkel. Allerdings gibt es im Moment ohnehin nur einen reifen Kandidaten: Kroatien. Der Adria-Staat könnte nächstes oder übernächstes Jahr beitreten - wenn die irische Bevölkerung im Herbst dem Reformvertrag von Lissabon doch noch zustimmt.
Für die anderen Länder Ex-Jugoslawiens liegt das in weiter Ferne. "Sie haben zwar eine europäische Perspektive, aber noch keine Zusage", sagt Hänsch, "nicht einmal für Verhandlungen. Das wird noch Zeit brauchen". Doch womöglich werden auch Mazedonien, Montenegro, Albanien oder Serbien an der Türkei vorbeiziehen. Ihr Beitritt wird frühestens in zehn bis 15 Jahren erwartet - wenn überhaupt.