Nach Tod von Nawalny Festnahmen und ein Mordvorwurf
Bei spontanen Gedenkveranstaltungen für den verstorbenen Kremlkritiker Nawalny sind in Russland mehr als 100 Menschen festgenommen worden. Das Team von Nawalny sagte, alles deute auf einen Mord hin. Ein Anwalt sei auf dem Weg zur Strafkolonie.
Das Team des verstorbenen russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hat sich öffentlich geäußert. "Wir verstehen, dass es höchstwahrscheinlich so passiert ist, dass Alexej Nawalny getötet wurde - mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit", sagte der im Exil lebende Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, Iwan Schdanow, am Abend während einer Liveschalte auf YouTube.
Seinen Tod wolle man aber erst dann offiziell bestätigen, wenn ein Anwalt in Nawalnys Straflager im äußersten Norden Russlands eingetroffen sei. Er sei gemeinsam mit Verwandten auf dem Weg, werde dort aber voraussichtlich erst am Samstagmorgen eintreffen.
"Derzeit deutet alles darauf hin, dass sich tatsächlich ein Mord ereignet hat - der Mord an Alexej Nawalny im Gefängnis. Und getötet hat ihn (Wladimir) Putin", sagte Schdanow.
Nawalny war nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass am Freitag in der Strafkolonie im Norden Russlands, in der er inhaftiert war, zusammengebrochen und gestorben. Der 47-Jährige saß seit 2021 in Russland in Lagerhaft. 2020 überlebte er einen Giftanschlag. Nach erfolgreicher Behandlung in Deutschland war er nach Russland zurückgekehrt.
Festnahmen in Russland
In mehreren russischen Städten wurde bei spontanen Gedenkveranstaltungen an Nawalny erinnert. Trotz eines hohen Polizeiaufgebots standen etwa im Moskauer Stadtzentrum Menschen Schlange, um Blumen an einer Gedenkstelle für Opfer politischer Repression abzulegen. Auch aus St. Petersburg, Jekaterinburg, Nischni Nowgorod und anderen Städten gab es ähnliche Bilder. Manche Leute brachten Fotos von Nawalny mit, einige weinten und lagen sich in den Armen.
Die Polizei ging gegen die trauernden Unterstützer vor. In mehreren russischen Städten wurden bis zum späten Freitagabend mehr als 100 Menschen bei Gedenkveranstaltungen festgenommen, wie die Bürgerrechtsorganisation Ovd-Info mitteilte. Festnahmen wurden unter anderem aus Moskau, St. Petersburg und sechs weiteren Städten gemeldet.
Großbritannien bestellt Botschaftspersonal ein
Die britische Regierung bestellte als Reaktion auf den Tod Nawalnys diplomatisches Personal der russischen Botschaft ein. Damit wolle London deutlich machen, dass es "die russischen Behörden uneingeschränkt verantwortlich" für Nawalnys Tod mache, erklärte das britische Außenministerium. Nawalnys Tod in einer Strafkolonie in der russischen Polarregion müsse "vollständig und transparent untersucht" werden, hieß es weiter.
Aus dem Außenministerium hieß es weiter, in den vergangenen Jahren hätten die russischen Behörden Nawalny "aufgrund falscher Anschuldigungen inhaftiert, ihn mit einem verbotenen Nervenkampfstoff vergiftet und in eine arktische Strafkolonie geschickt". Niemand solle "an der Brutalität des russischen Systems zweifeln".
Steinmeier würdigt "Verfechter der Demokratie"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kondolierte der Witwe von Nawalny. In dem vom Bundespräsidialamt veröffentlichten Beileidsschreiben heißt es: "Mit Ihrem Mann verliert die Welt einen mutigen Verfechter der Demokratie." Steinmeier schrieb an Julija Borissowna Nawalnaja, ihr Mann habe sich mit all seiner Kraft für eine demokratische Zukunft Russlands eingesetzt. Diese Zukunft wolle das Regime von Präsident Wladimir Putin mit brutaler Macht verhindern.
US-Präsident Joe Biden sagte in Washington, es gebe keinen Zweifel daran, dass der Tod Nawalnys eine Folge von Putins Handeln und dem "seiner Verbrecher" sei. "Putin ist verantwortlich", so Biden. Er sei angesichts der Nachricht von Nawalnys Tod schockiert, aber nicht überrascht.
Russland wies sämtliche Anschuldigungen zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, es gebe noch keine genauen Informationen von Medizinern, Gerichtsmedizinern oder dem Strafvollzug. Trotzdem gebe es bereits Reaktionen aus dem Westen. "Es ist offensichtlich, dass das absolut überdrehte und absolut inakzeptable Aussagen sind", kritisierte Peskow. "Mehr habe ich zu diesem Thema nicht zu sagen." Putin selbst, der in einem Monat zur Wiederwahl antritt, äußerte sich bislang nicht öffentlich zum Tod Nawalnys.