Britische Geheimdienste zu Ukraine Auf Twitter statt nur im Geheimen
Der britische Geheimdienst veröffentlicht täglich Informationen zum Ukraine-Krieg - auf Twitter. Mit der neuen Offenheit will man Kiew unterstützen - und gewinnt auch das Vertrauen der Briten zurück.
Am 17. Februar veröffentlichte das britische Verteidigungsministerium unter anderem auf Twitter ein Video, das Bewegungen russischer Truppen nachzeichnete. Es war eine Antwort auf die Lüge des Kreml, dass man die Truppen von der ukrainischen Grenze gerade abziehe, und die Übung beendet sei. Sieben Tage später griff Russland an. In dem Video, das von einer Frauenstimme mit britischem Akzent gesprochen wird, fällt immer wieder der Ausdruck "our Intelligence", "unsere Geheimdienstinformationen".
Gegengewicht zur russischen Propaganda
Seit Wochen hatten britische und US-Geheimdienste da schon Informationen öffentlich gemacht, als Warnung und Gegengewicht zur russischen Propaganda. "Das waren sehr, sehr geheime Informationen aus Quellen ganz nah am Kreml", sagt Keir Giles, der bei der Londoner Denkfabrik Chatham House zu Sicherheitsfragen, die Russland betreffen, forscht. "Der Kreml wird sich zweifellos genauso gewundert haben wie die ganze Welt."
Eine solche Offenheit der Geheimdienste habe es bisher nur bei Cyber-Aktivitäten gegeben. "Aber es galt, andere europäische Länder zu überzeugen, dass ein großer Krieg bevorstand." Einige Tage vor Angriff begannen auf dem Twitter-Kanal des britischen Verteidigungsministeriums auch die so genannten Intelligence Updates. Karten zeigten Vormarsch und Aktivität russischer Truppen, dazu im Stil von Präsentationsfolien Informationen und Einschätzungen. In heller Schrift auf dunkelblauem Hintergrund. Als Quellenvermerk: Defence Intelligence, Großbritanniens Militärgeheimdienst.
Unterstützung für die Ukraine
Der Experte für Sicherheits- und Geheimdienstfragen, Jeffrey Michaels vom Institut Barcelona d'Estudis Internacionals (IBEI), hat die Twitter-Updates von Anfang an intensiv verfolgt. "Die ersten gab es einige Tage vor dem Krieg, wohl als Unterstützung für die Linie der britischen Regierung", sagt er. "Man wollte zeigen, dass man weiß, dass Russland etwas vorbereitet."
Michaels war früher selbst im US-Regierungsapparat tätig und vermutet folgenden Ablauf hinter den Updates. "Ich nehme an, dass die Folien beim Erstellen der Morgen-Briefings für das Ministerium entstehen. Dann entfernt jemand die wirklich geheimen Informationen und veröffentlicht den Rest." Manchmal, so Michaels, falle sofort auf, dass ein Paragraf fehle - "der Anschluss stimmt dann einfach nicht".
Formatierungs- und Tippfehler
In der Tat fehlen in den Updates auch exklusive Informationen. Es handelt sich eher um Analyse und die Zusammenfassung bereits bekannter Geschehnisse. Mittlerweile gibt es meist nur noch ein Update und eine Karte täglich. Aber sie bekommen immer noch die meisten Reaktionen auf dem Twitter-Kanal des britischen Verteidigungsministeriums, der knapp 650.000 Follower hat.
"Mich wundert diese Aufmerksamkeit, denn sie sind ehrlich gesagt nicht besonders gut", sagt Michaels. Inhaltlich seien die Analyse einiger Militär- und Russlandexperten auf Twitter den Intelligence Updates weit überlegen. Zumal, so Michaels, er immer wieder Fehler bei der Formatierung oder Tippfehler in den Updates finde.
Doch auch er muss feststellen: Für den britischen Geheimdienst, gerade für den Militärgeheimdienst, sind sie ein Erfolg. "Sie haben wohl selbst nicht damit gerechnet, aber die Updates haben dem britischen Militärgeheimdienst viel Aufmerksamkeit beschert, innerhalb der eigenen Regierung und international. Die Updates sind längst ein Medienevent."
Ukrainische Seite wird kaum beleuchtet
Das liegt wohl auch daran, dass das britische Verteidigungsministerium zu den wenigen offiziellen Stellen gehört, die niedrigschwellig und regelmäßig in sozialen Netzwerken den Kriegsverlauf kommentieren, und damit auch signalisieren, welche Einschätzungen und Informationen die britische Seite für seriös hält.
Auffällig ist jedoch: Die ukrainische Seite, ihre Aktivitäten oder Verluste werden kaum beleuchtet. "Einerseits will man die Ukraine sicher schützen, andererseits hat die britische Seite vermutlich nicht so viele Expertise für die Ukraine wie für Russland", so Michaels.
Vertrauen zurückgewinnen
Für den Sicherheitsexperten Giles ist die Twitter-Offensive zwar ein Zeichen dafür, dass die britischen Geheimdienste die Öffentlichkeit vermehrt im Blick haben - aber man dürfe sie nicht überbewerten. "Die Geheimdienste sind zugewandter geworden, aber die Veröffentlichung wirklich relevanter geheimer Informationen ist erstmal an ihre Grenzen gekommen", so Giles.
Er meint, dass alle Zweige der britischen Geheimdienste im Zuge des Krieges gegen die Ukraine bei den meisten Briten Vertrauen zurückgewonnen hätten. Vertrauen, das sie im Zuge des Irak-Krieges, in den Großbritannien den USA auf Grundlage falscher Geheimdienstinformationen folgte, massiv verloren hatten.
Im September bekommt der Militärgeheimdienst einen neuen Chef. Wie es dann mit den Twitter-Updates zum russischen Krieg gegen die Ukraine weitergeht, ist noch unklar. Aber auch in Großbritannien rechnet niemand damit, dass der Krieg bis dahin vorbei ist.