Proteste in Bulgarien Mit Straßenblockaden gegen den Kohleausstieg
Auch Bulgarien hat den Ausstieg aus der Kohle beschlossen - auf den letzten Drücker, um sich 2,2 Milliarden Euro EU-Hilfen zu sichern. In den Kohleregionen gibt es Proteste dagegen. Klimaschutz-Argumente sind kaum zu hören.
Seit Tagen blockieren Demonstranten in Bulgarien wichtige Fernstraßen, wie die Trakija-Trasse, die Bulgariens Hauptstadt Sofia mit dem Schwarzen Meer verbindet. Sie fordern den Rücktritt der Regierung. Die Männer und Frauen sind in der Kohleindustrie beschäftigt. Und protestieren gegen den am Freitag beschlossenen Kohleausstieg ihres Landes im Jahr 2038.
"Wir wollen eine unabhängige Energiewirtschaft. Wir wollen nicht verraten werden. Wir wollen, dass die Regierenden hierherkommen und ihre Pläne zurückziehen. Niemand wird von hier weggehen", so die Stimmen auf der Straße.
Die Pläne sehen vor, die Kohlekraftwerke und Kohlebergwerke in den Regionen Stara Sagora, Pernik und Kjustendil in West- und Zentralbulgarien nach und nach außer Betrieb zu nehmen. Die Arbeiter sollen entschädigt oder in einer staatliche Übergangsgesellschaft angestellt werden. Das Unternehmen soll die betroffenen Flächen in Industriegebiete umwandeln.
Geld für den Strukturwandel soll von der EU kommen
Energieminister Rumen Radew reiste am Samstag nach Stara Sagora, um die Demonstranten zu überzeugen. "Wir sind uns alle mit Sicherheit einig, dass Arbeitsplätze nicht verloren gehen sollten", sagte er - und versprach: "Die vorgelegten Pläne leiten den Verhandlungsprozess mit Brüssel ein, geben ihn nicht vor. Das Interesse an Arbeitsplätzen und der Sicherheit der Energieerzeugung ist unser gemeinsames Interesse."
Denn das Geld für den Strukturwendel soll von der Europäischen Union kommen. Hätte die Regierung die Energiewendepläne nicht am Wochenende auf den letzten Drücker nach Brüssel geschickt, wären Bulgarien wohl mehr als 720 Millionen Euro Fördergeld entgangen. Weitere 1,5 Milliarden Euro hätte Brüssel einfrieren können: Gelder aus dem Regionalentwicklungsprogramm der EU.
Misstrauen gegenüber der Regierung
Die Demonstranten werfen der Regierung deshalb vor, geldgierig zu sein. "Diese Energiewende wird nicht so stattfinden, wie man sagt. Man wirft den Menschen Lügen an den Kopf. Sie wollen das Geld nehmen - jetzt das ganze Geld einsammeln und die Energieanlagen schließen." Aus Stimmen wie diesen spricht ein tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung.
Stojan Stojanow ist der Gewerkschaftsführer der zweitgrößten bulgarischen Gewerkschaft Podkrepa im Braunkohle-Bergwerk Mariza Ost. Er befürchtet verheerende Folgen für die gesamte Region Stara Sagora. 15.000 Arbeitsplatze würden der Region verloren gehen sowie etwa 90.000 weitere Arbeitsplatze, die indirekt mit den Aktivitäten des Werks zusammenhängen. "Diese Familien bleiben ohne Existenzgrundlage. Wenn jetzt keine Lösung gefunden wird, werden diese Menschen hier fliehen", sagt der Gewerkschafter.
Kein Treffen mit dem Premierminister
Das Kraftwerk Mariza Ost gehört zu den größten CO2-Emittenten in Europa. Klimaschutz-Argumente spielen in der Debatte allerdings kaum eine Rolle.
Nachdem die Gewerkschaften ein Treffen mit der Regierung am Sonntag haben platzen lassen, rief Premierminister Nikolaj Denkov die Gewerkschaften auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Gleichzeitig machte Denkov den Gewerkschaften Vorwürfe, in den laufenden Kommunalwahlkampf einzugreifen. In drei Wochen entscheiden Wählerinnen und Wähler im ganzen Land über Bürgermeisterämter. Ein andauernder Protest könnte den pro-westlichen Regierungsparteien schaden.