Klimaklagen vor dem EGMR Sechs Jugendliche gegen 32 Staaten
Sechs junge Portugiesen werfen 32 Staaten vor, sich nicht ausreichend an das Pariser Klimaabkommen zu halten. Sie klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Nach einem UN-Bericht gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt mehr als 2.000 Klagen gegen Regierungen und Unternehmen, die zum Ziel haben, den Klimawandel aufzuhalten. Seit 2017 hat sich die Zahl der Klagen verdoppelt. Bekannt geworden sind zum Beispiel Gerichtsverfahren aus den Niederlanden, Brasilien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland.
Von diesen Verfahren ist eines besonders berühmt: Die Klage von sechs jungen Portugiesen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Sie hatten im Sommer und Herbst 2017 erlebt, wie etwa 200 Kilometer nordöstlich von Lissabon große Waldgebiete in Flammen standen. Feuer zerstörten ganze Ortschaften. Mehr als Hundert Menschen starben, noch viel mehr wurden verletzt.
"Wir wollen etwas ändern"
Catarina, heute 24 Jahre alt, bekam diese Bilder nicht mehr aus ihrem Kopf. Für sie war klar, dass eine vorherige Hitzewelle die Brände begünstigt hat. "Alles war voller Rauch. Unsere Schule wurde geschlossen, und wir mussten nach Hause gehen", erzählt sie.
Viele Menschen hätten danach Atemprobleme und psychische Störungen gehabt, da die Feuer direkt neben ihren Häusern wüteten. "Uns war sofort klar, dass jetzt etwas geschehen muss", sagt sie. "Das war der Startpunkt für unsere Initiative. Wir wollen etwas ändern und den Klimawandel aufhalten."
Wurde die Menschenrechtskonvention verletzt?
Catarina tat sich mit fünf Freunden zusammen. Sie sind heute zwischen 11 und 24 Jahre alt. Gemeinsam mit einer Anwältin überlegten sie, was sie unternehmen könnten. Drei Jahre nach der Brandkatastrophe im Herbst 2020 reicht die Gruppe eine Klage gegen 32 Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein, dem Gericht des Europarats. Eine britische Menschenrechtsorganisation unterstützt sie seither.
Für ihren Anwalt Mark Willers ist klar, dass hier die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt ist:
Die Klimakrise bedroht konkret drei Menschenrechte der jungen Kläger, die durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt sind. Es geht um das Recht auf Leben, Artikel 2, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens Artikel 8 und die diskriminierungsfreie Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in Artikel 14 der Konvention garantiert wird.
Staaten sollen sich an Klimaschutzabkommen halten
Mittlerweile ist eine größere Gruppe von Anwälten mit dem Fall betraut. Sie betonen, dass es eine Klage dieser Art bisher nicht gegeben hat. Konkret verlangen die Juristen von den verklagten Staaten, ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, um die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.
Die bisherigen Schritte der Regierungen seien längst nicht ausreichend, meint Anwalt Gerry Listen. Es gehe um die Zukunft seiner Mandanten. "Die Europäische Menschenrechtskonvention gibt ihnen einen Opferstatus. Sie leiden unter den Folgen des Klimawandels", sagt er. Von den Minderjährigen aus der Gruppe seien es die Eltern, die offiziell als Kläger auftreten und "mit deren Hilfe wir diese Klage vor den Menschenrechtsgerichtshof gebracht haben".
Statt abgewiesen sogar aufgewertet
Der Gerichtshof hat das Verfahren priorisiert. Dass die Klage der Jugendlichen nicht gleich abgewiesen wurde, war etwas überraschend. Denn normalerweise verlangt das Gericht, dass zunächst im Heimatland bei den zuständigen Instanzen ein Prozess geführt wird. Erst wenn der Rechtsweg dort erschöpft ist, wie es im Fachjargon heißt, nehmen die Straßburger Richter sich einer Sache an.
Aber hier wurde eine Ausnahme gemacht und das Verfahren noch dazu aufgewertet, weil sich nicht nur fünf, sondern mindestens 17 Richterinnen und Richter darum kümmern, also die Große Kammer. Ganz aussichtslos erscheint die Klage der portugiesischen Jugendlichen daher nicht.
Entscheidung kann noch dauern
Im März hatte der Gerichtshof bereits über eine Klimaklage aus der Schweiz verhandelt, die Klage der sogenannten Klimaseniorinnen. Diese machen geltend, dass sie als ältere Frauen besonders vom Hitzetod bedroht seien. Die Gerichtsverhandlung im März fand sehr viel internationale Beachtung. Und auch diesmal erwartet der Gerichtshof Presse aus der ganzen Welt. Ausnahmsweise wollen die Richterinnen und Richter der Großen Kammer den ganzen Tag verhandeln.
Ein Urteil zu den Klimaseniorinnen gab es bislang noch nicht. Auch im Fall der Jugendlichen ist nicht direkt mit einer Entscheidung zu rechnen. Gut möglich, dass der Gerichtshof diese erst in einigen Monaten verkündet.
In einer ersten Version des Artikels wurde ein Foto vom Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg verwendet. Die heutige Verhandlung findet aber am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg statt. Das Foto wurde ausgetauscht.
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