Scholz schaltet sich in Debatte ein Berlin will EU-Asylverschärfung wohl nicht blockieren
Die EU will mit einer Asyl-Krisenverordnung Staaten helfen, in denen besonders viele Migranten ankommen. Weil die Grünen dagegen sind, drohte aus Berlin ein Veto. Doch offenbar sprach Kanzler Scholz nun ein Machtwort.
Deutschland will offenbar den Widerstand gegen die geplante Krisenverordnung in der europäischen Asylpolitik aufgeben. Bundeskanzler Olaf Scholz entschied nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios bei der Kabinettssitzung, dass Berlin die Reform des europäischen Asylsystems in Brüssel "weder aufhalten noch blockieren" werde. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet unter Berufung auf Regierungskreise von einem "Machtwort" des Kanzlers.
Die Krisenverordnung ist Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Über die Verordnung hatte es Streit vor allem zwischen FDP und Grünen gegeben. So hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den bisherigen Kurs der Grünen scharf kritisiert. "Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen." Auch die Union hatte der Bundesregierung vorgeworfen, mit einer Blockade die gesamte Reform des GEAS zu gefährden.
Grüne kritisch
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte auf der Plattform X (vormals Twitter) erklärt, die Verordnung könne "Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland" schaffen. Der Pressesprecher des Auswärtigen Amts hatte noch am Mittag erklärt, die Krisenverordnung sei in dieser Form nicht zustimmungsfähig.
Die FDP hingegen ist für das Vorhaben - und rechnet mit Zustimmung. Finanzminister und Parteichef Christian Lindner sagte bei einer Regierungsbefragung im Bundestag: "Ich bin zwischenzeitlich zuversichtlich, dass die Bundesregierung dem Asylpaket auf der europäischen Ebene zustimmen wird." Damit sei ein grundlegender Paradigmenwechsel verbunden, darunter der Schutz der europäischen Außengrenzen, die Vereinfachung der Asylverfahren und "die Verlagerung der Stellung eines Asylantrags in den Bereich außerhalb der Europäischen Union". Die Bundesregierung werde ihrer Verantwortung gerecht.
Niedrigere Standards für Migranten
Die EU-Verordnung sieht Sonderregeln bei besonders hohem Migrationsdruck vor. Dazu zählen längere Fristen für die Registrierung von Asylsuchenden an den Außengrenzen sowie die Möglichkeit der Absenkung von Standards bei Unterbringung und Versorgung. Bei Personen aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote können zudem strengere Regeln angewendet werden.
Pro Asyl kritisierte eine mögliche Zustimmung zu der Verordnung. Sie "wäre ein Geschenk für die rechten Hardliner in Europa. Denn sie bestimmen offensichtlich die politische Agenda in der EU", erklärte der Verband. Dass der Bundeskanzler nun die Zustimmung erzwinge, zeige, dass in der Bundesregierung menschenrechtliche Erwägungen nichts mehr zählten.
Widerstand gegen die Verordnung kommt auch aus Ungarn, Polen, Tschechien und Österreich - jedoch aus einem anderem Grund: Sie fordern für den Krisenfall noch härtere Sonderregeln.
Druck, aber keine Einigung in Sicht
Die EU-Innenminister kommen am Donnerstag in Brüssel zusammen, um über die umstrittene EU-Asylreform zu beraten. "Diese besteht aus mehreren Teilen, zehn Gesetzestexten, um genau zu sein, und einer dieser Teile ist die Krisenverordnung", erklärt Jonas Wixforth aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Würde Deutschland diesen Teil blockieren, stünde die gesamte Asylreform auf dem Spiel.
Die Minister stehen unter Druck, weil wichtige Teile der Reform ungeplant auf Eis liegen. Das EU-Parlament hatte vergangene Woche die Verhandlungen zu zwei Gesetzesvorhaben ausgesetzt, weil sich die EU-Mitgliedsstaaten bisher nicht auf eine gemeinsame Position für die sogenannte Krisenverordnung einigen konnten.
Der Druck auf die Gespräche ist vor allem deshalb so hoch, weil die EU die Asylreform noch vor der Europawahl im Juni 2024 verabschieden will. Dafür sieht der Zeitplan der Kommission vor, die Verhandlungen bis Februar 2024 abzuschließen. Eine Einigung über die Krisenverordnung kann rein formal aber auch Abseits der großen Treffen der EU-Innenminister in Brüssel stattfinden.