EU-Migrationsabkommen mit Tunesien Deal ohne Nutzen?
Zwei Monate nach dem Abschluss des EU-Migrationsabkommen mit Tunesien bleiben die Flüchtlingszahlen hoch. Das Europaparlament ist sich nicht sicher: Kann das Abkommen überhaupt funktionieren?
Ist das Migrationsabkommen der EU mit Tunesien ein schmutziger Deal? Europa verspricht dem autoritär regierten Land Hunderte Millionen Euro, um die Flucht über das Mittelmeer einzudämmen. Umstritten war dieses Abkommen von Anfang an. Nun stellt sich das Europaparlament die Frage: Ist es womöglich auch nutzlos?
Flüchtlingszahlen steigen weiter
Jeroen Lenaers, niederländischer Christdemokrat und Mitglied der EVP-Fraktion, sagt, es seien nun zwei Monate vergangen seit der Unterzeichnungszeremonie. "Und wir sehen kein Ergebnis, die illegale Migration nimmt weiter zu und vor Ort in Tunesien hat sich nichts verändert." Die Dringlichkeit, mit der diese Partnerschaft vereinbart wurde, sei ein wichtiges Signal dafür gewesen, dass Europa die Migrationskrise ernst nimmt. "Jetzt müssen wir auch Dringlichkeit in der Umsetzung sehen.“
Konkret heißt das: Die Flüchtlingszahlen über die Mittelmeerroute sollen sinken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Allein in der Woche nach Unterzeichnung des Memorandums gelangten laut italienischem Innenministerium rund 7.400 Migranten irregulär von Tunesien nach Italien - mehr als je zuvor binnen einer Woche. Und die Zahlen stiegen weiter.
Fragen zu Umgang mit tunesischem Machthaber
Sollte man also das Abkommen mit mehr Nachdruck umsetzen - oder ausschließen, dass weitere EU-Millionen in Tunis versickern? Letzteres, meint der FDP-Europaabgeordnete Jan Christoph Oetjen. Er spricht sich grundsätzlich für Migrationsabkommen mit Drittstaaten aus - aber gegen dieses mit dem aktuellen tunesischen Staatspräsidenten.
"Ist Kais Saied ein verlässlicher Partner für die Europäische Union? Ich glaube das nicht", so Oetjen. "Gerade vor sechs Tagen sind wieder Oppositionelle in Tunesien verhaftet worden. Richter werden einfach so kurzerhand abgesetzt. Kann jemand ein guter Partner sein, der Migranten in der Wüste nach Libyen einfach aussetzt ohne Wasser? Ich glaube dieses Abkommen funktioniert so nicht."
Was kann und was soll dieses Abkommen genau leisten?
Deutlich wird zumindest: Der tunesische Machthaber lässt sich von gut 100 Millionen Euro EU-Geldern für den Grenzschutz ebenso wenig beeindrucken, wie von der Aussicht auf weitere Kredite. Denn er hat weitere Geldgeber gefunden: Saudi Arabien etwa stellt dem klammen Tunesien eine halbe Milliarde Dollar an Krediten zur Verfügung, ohne solche Bedingungen zu stellen.
Umso deutlicher werde für das EU-Parlament, dass präzisiert werden muss, was dieses Abkommen genau leisten kann und soll, fordert Birgit Sippel, die migrationspolitische Sprecherin der europäischen Sozialdemokraten.
Einige der zu klärenden Fragen sind ihrer Meinung nach: Was ist die Rechtsgrundlage? Wer hat Geld genehmigt - und wofür? Wobei soll die EU tunesische Grenzbeamte unterstützen und ausbilden? Was bedeutet das für schutzsuchende Menschen an der Grenze zu oder in Tunesien? Und: Lagert die EU so Pushbacks aus? "Dieser Deal ist schwammig, wenig aussagekräftig, und vieles ist halt noch gar nicht ausgearbeitet", so Sippel.
Appell an von der Leyen
Sie richtet einen Appell an die EU-Kommissionschefin: "Frau von der Leyen muss detailliert darlegen, was konkret Grundlagen und Ziele für solche Deals sind, und wie wir beim Einsatz von Steuergeldern die Einhaltung unserer Werte und von internationalem Recht sicherstellen."
Denn schließlich soll das Abkommen mit Tunesien eine Blaupause sein - ein erstes Beispiel für Migrationsabkommen mit weiteren Ländern aus der Region, um Einwanderung in die EU zu begrenzen und zu kontrollieren. Offen ist aber auch nach zwei Monaten noch eine Antwort auf die Frage: Kann das was werden?