Beratungen zu Nahost EU uneins über Feuerpause
Die EU-Staaten ringen um eine Linie in der Nahostpolitik. Besonders die Forderung nach einer Feuerpause für Gaza sorgt für Streit unter den Außenministern. Deutschland und andere Länder wollen sich nicht anschließen.
Die Europäische Union will eine Ausweitung des Nahost-Kriegs verhindern, ist über die Mittel aber uneins. Bei einem Außenministertreffen in Luxemburg stellten sich Länder wie Spanien, Slowenien und Irland hinter Forderungen von UN-Generalsekretär António Guterres nach einem sofortigen Waffenstillstand. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kollegen aus Ländern wie Österreich und Tschechien wollten sich jedoch nicht anschließen.
Entwurf für Gipfelerklärung
Am Donnerstag und Freitag beraten die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel über den Nahost-Krieg. In der vorläufigen Gipfelerklärung, die mehreren Nachrichtenagenturen vorliegt, heißt es: "Der Europäische Rat unterstützt die Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Guterres, nach einer humanitären Pause, um einen sicheren Zugang für die humanitäre Hilfe zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass die Hilfsbedürftigen erreicht werden."
EU-Außenbeauftragter Borrell offen für Vorstoß
Die Forderung nach einer Waffenpause zwischen Israel und der Terrormiliz Hamas war am Samstag bei einem internationalen Nahost-Gipfel in Kairo laut geworden. Besonders UN-Generalsekretär Guterres hatte dazu aufgerufen. Seitdem wird auch in der EU darüber diskutiert, ob man sich dieser Forderung anschließen sollte. Regierungspolitiker aus Ländern wie Spanien, Belgien und Irland haben sich zuletzt klar in diese Richtung positioniert.
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich im Vorfeld des EU-Ratstreffens offen für diesen Vorstoß. "Persönlich denke ich, dass eine humanitäre Feuerpause nötig ist, damit die humanitäre Hilfe hereinkommen und verteilt werden kann." Dies sei vordringlich, weil rund die Hälfte der mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens angesichts der erwarteten israelischen Bodenoffensive ihre Häuser hätten verlassen müssen.
Baerbock: "Quadratur des Kreises"
Der spanische Außenminister José Manuel Albares, dessen Land in diesem Halbjahr die Ministerräte leitet, forderte in Luxemburg, die Europäer müssten in dieser Frage "mit einer Stimme sprechen". Denn unter den Mitgliedsstaaten besteht keine Einigkeit. Neben Österreich, Tschechien und Lettland sieht auch Deutschland die Forderung nach einer Feuerpause skeptisch. Die Bundesregierung fürchtet, eine solche Erklärung könne als Infragestellen des israelischen Rechts auf Selbstverteidigung interpretiert werden.
Deutschland dürfte deshalb darauf dringen, die Passage bis zum Beginn des EU-Gipfels noch zu ändern oder zu streichen. Bundesaußenministerin Baerbock machte ihre Position auf dem Treffen mit ihren Amtskollegen in Luxemburg nochmal deutlich. Sie sprach von einer "Quadratur des Kreises": "Wir können die humanitäre Katastrophe nicht eindämmen, wenn der Terrorismus von Gaza so weiter geht", sagte sie unter Anspielung auf die Angriffe der radikalislamischen Hamas auf Israel. "Es wird nur Frieden und Sicherheit für Israel und die Palästinenserinnen und Palästinenser geben, wenn der Terrorismus bekämpft wird."
Italiens Außenminister Antonio Tajani sagte: "Wir können Israel nicht sagen, es darf sich nicht mehr selbst verteidigen, solange die Hamas Raketen auf seine Städte abfeuert." Frankreich hatte dagegen zuvor Zustimmung für eine solche Forderung signalisiert. Präsident Emmanuel Macron reist am Dienstag nach Israel, um mit Regierungschef Benjamin Netanyahu zu sprechen.
Bis in die Spitze uneins
Selbst zwischen den Spitzenvertretern der europäischen Institutionen gibt es Streit über den richtigen Kurs. So warfen der EU-Außenbeauftragte Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel der EU-Kommission von Ursula von der Leyen vor, mit einem zu israelfreundlichen Kurs den Interessen der EU in der Region zu schaden und Spannungen und Hass zu verschärfen. Hintergrund war eine mittlerweile wieder zurückgenommene Erklärung gewesen, Entwicklungshilfezahlungen an die Palästinenser vorübergehend einzufrieren.
Von der anderen Seite wird hingegen kritisiert, der EU-Außenbeauftragte Borrell habe sich mit seiner eindeutigen Positionierung als möglicher Vermittler selbst diskreditiert, da er für die Israelis kein akzeptabler Gesprächspartner mehr sei.
Wie relevant ist die EU?
Für die EU steht bei den Diskussionen viel auf dem Spiel. "Wenn wir es nicht schaffen, mit einer Stimme zu sprechen, werden wir weder kurzfristig noch langfristig einen Beitrag zur Deeskalation in der Region leisten können", warnte ein ranghoher EU-Beamter am Wochenende. Ganz generell gehe es um den Anspruch der EU, auch auf internationaler Ebene eine Rolle als Brückenbauer und Friedensstifter zu besetzen.
Ist die Glaubwürdigkeit der EU in Gefahr? Dass Mahnungen wie diese zu einer Annäherung führen, scheint derzeit allerdings unwahrscheinlich. Aus der Gruppe mit den Ländern wie Spanien kommt hinter verschlossenen Türen die Warnung, dass zu viel Rückendeckung für Israel der Glaubwürdigkeit der EU als Verteidigerin des Völkerrechts schaden könne - vor allem, wenn es in den kommenden Wochen und Monaten noch zu deutlich mehr zivilen Opfern im Gazastreifen kommen sollte.
Asselborn: USA sind einzige Ansprechpartner
Nach Einschätzung des luxemburgischen Außenministers Jeans Asselborn wird die EU keine bedeutende Rolle bei Vermittlungsbemühungen um eine Deeskalation im Nahost-Konflikt spielen. Er erlebe seit 20 Jahren, dass die USA sowohl für die Israelis als auch für die Palästinenser der einzige relevante Ansprechpartner seien, sagte der dienstälteste Außenminister am Rande der Beratungen in Luxemburg. In dieser Beziehung müsse man realistisch sein.