EU-Beratungen zu Nahost Wie klar ist Europas Linie?
Die EU-Außenminister wollen in Luxemburg über den Kurs in der Nahostpolitik beraten. Eine gemeinsame Linie ist bitter nötig, denn bisher herrschte angesichts dieser Thematik ein heilloses Durcheinander.
Auswege aus dem Krieg finden oder wenigstens verhindern, dass er sich in der Region wie ein Flächenbrand fortsetzt - damit werden sich heute Europas Außenminister in Luxemburg beschäftigen. Vorher müssen sie aber eine kritische Bilanz ziehen über das, was bisher geschah. Europas Nahostpolitik wirkt seit zwei Wochen wie ein heilloses Durcheinander, bestimmt von nationalen Interessen und persönlichen Profilneurosen.
Chaotisch war die Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas: Zuerst preschte ein EU-Kommissar vor und kündigte eigenmächtig den Stopp der Entwicklungshilfe für die palästinensischen Autonomiegebiete an. Es dauerte Stunden, bis der Alleingang des Ungarn korrigiert wurde. Natürlich würden humanitäre Hilfen für die Menschen weiter geleistet, hieß es dann.
Kritik an Kommissionspräsidentin von der Leyen
Kurz darauf geriet Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst in die Kritik - jedenfalls bei denen, die den Palästinensern näher als den Israelis stehen. Ihr Vorwurf: Die Kommissionschefin habe bei ihrem Solidaritätsbesuch in Israel die falschen Akzente gesetzt. Dabei ging es nur um wenige Worte, genauer um Worte, die nicht gesagt wurden. "Israel hat das Recht, sich selbst zu verteidigen", hatte Ursula von der Leyen in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Premierminister Benjamin Netanyahu gesagt, Israel habe sogar die Pflicht, sein Volk zu verteidigen.
An dieser Stelle vermissten die Kritiker eine Einschränkung. Selbstverteidigung ja, aber in den Grenzen des humanitären Völkerrechts. Die Kommissionspräsidentin entschied sich im Angesicht der vom islamistischen Terror verwüsteten Orte für eine vorsichtigere Formulierung. "Ich weiß, die Art und Weise, wie Israel antwortet, wird zeigen, dass es eine Demokratie ist." Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich zuvor ganz ähnlich geäußert hatte - Israel habe das Recht, sich zu verteidigen und zurückzuschlagen, "stark und gerecht" - nahm in Brüssel kaum jemand zur Kenntnis.
Keine einheitliche EU-Position
Von der Leyen sprach in Israel von den Bildern geschändeter Kinder, von jungen Eltern, die ihre Babys versteckten, bevor sie von den islamistischen Terroristen getötet wurden. Aus ihrem Umkreis hieß es, sie habe Netanyahu im persönlichen Gespräch um Mäßigung bei der Reaktion gebeten.
Ist das eine deutsche Position? Jedenfalls eine, die nicht der offiziellen EU-Linie entspricht, werfen Kritiker ihr vor. Der irische Präsident Michael Higgins ist dabei am lautesten. Dem "Independent" zufolge sagte er, die Deutsche spreche "nicht für Irland". Ein Land, das traditionell an der Seite der Palästinenser steht.
Dabei hatte von der Leyen auch gegenüber Netanyahu nicht gezögert, auf die prekäre Lage der Palästinenser hinzuweisen. Aber anders, als ihre Gegner sich das gewünscht hatten. "Der Horror, den die Hamas entfesselt hat", sagte sie, "bringt nur noch mehr Leid über unschuldige Palästinenser!" Die seien auch bedroht. Die Palästinenser als Opfer der Hamas-Terroristen, ganz ähnlich war das auch vom deutschen Bundeskanzler zu hören.
Dass die Kommissionspräsidentin nach Rückkehr aus Israel mehrmals auf das internationale Recht als Rahmen für die israelische Reaktion verwies, konnte die erhitzten Gemüter nicht mehr besänftigen. Ausgerechnet der Chefdiplomat der Europäer, der Spanier Josep Borrell, fuhr der Kommissionspräsidentin in die Parade. Allein schon Israels Evakuierungsanordnung für die Menschen in Gaza-Stadt sei im Grunde schon Bruch des Völkerrechts. Spanische Regierungspolitiker sehen das genauso, einige fordern sogar eine Waffenruhe, was faktisch einer Ablehnung von Israels Recht auf Selbstverteidigung gleich käme.
Konkurrenz zwischen Michel und von der Leyen
Ratspräsident Charles Michel sieht in der Sache auch eine persönliche Herausforderung. Aus seiner Umgebung heißt es, nicht von der Leyen sei für Europas Außenpolitik zuständig, sondern die Mitgliedsländer. Was den Statuten entspricht, aber die Frage offen lässt, warum die Spitze der EU-Kommission keinen Solidaritätsbesuch in Israel machen sollte. Bei von der Leyens Besuchen in Kiew jedenfalls waren solche Vorwürfe nicht zu hören.
Michel sieht in Ursula von der Leyen seit Langem schon eine Konkurrentin. Eine Frau, die auf dem internationalen Parkett Punkte sammelt, während es ihm sichtlich schwer fällt zu brillieren. Mit bebender Stimme verkündete Michel, die Außenminister der Mitgliedsländer sollten jetzt die Krise in Nahost in die Hand nehmen. "Unter einem ständigen Monitoring und in einem Informationsaustausch mit uns!"
Uneinigkeit unter den Mitgliedsländern
Die persönlichen Scharmützel der beiden sind aber nicht der einzige Unruheherd, der Europa im neu entflammten Nahostkrieg so schwach aussehen lässt. Auch die Regierungen in den Hauptstädten trennt eine scharfe Linie. Auf der einen Seite Länder, die traditionell den Palästinensern nahestehen, wie Belgien und Luxemburg, aber auch größere Länder wie Spanien und Irland.
Lange gehörte auch Frankreich zu dieser Gruppe. Vor dem Hintergrund der islamistischen Straftaten in französischen Städten und möglicherweise auch aus Sorge vor dem daraus folgenden Zulauf für die extreme Rechte scheint der französische Präsident sich neu zu orientieren. Sein Innenminister beklagt nach dem jüngsten Mord an einem Lehrer durch einen radikalen Islamisten eine "Atmosphäre des Dschihadismus" im Land.
Viele Franzosen haben Angst vor der sogenannten Einfuhr des Konflikts, andere konstatieren, er sei längst da. In Frankreich lebt die größte jüdische Gemeinde Europas, rund 500.000 Menschen. Nach Beginn der Hamas-Angriffe versicherte Macron: "Es ist unsere wichtigste Pflicht, die Juden in unserem Land zu schützen". Frankreichs Präsident laviere gerade zwischen alten außenpolitischen Gewissheiten hin und her, heißt es in EU-Diplomatenkreisen.
Ein gemeinsamer Kurs muss her
An der Spitze der EU-Länder, die ausdrücklich und unumstößlich Israel unterstützen, stehen Deutschland, Österreich und Ungarn. Insgesamt stelle diese Gruppe sogar die Mehrheit, heißt es in deutschen Diplomatenkreisen. Aber um Mehrheiten geht es in Europas Nahostpolitik nicht, sondern um eine halbwegs einheitliche Linie, die alle mittragen können.
Die zu finden, ist nun Aufgabe der EU-Außenminister. Die deutsche Ministerin, Annalena Baerbock, hatte zuvor auch an dem Nahost-Gipfel in Ägyptens Hauptstadt Kairo teilgenommen und dabei zwei Akzente gesetzt. Sie sicherte Israel wieder die volle Solidarität im Kampf gegen den Hamas-Terror zu und sie rief die internationalen Partner zu mehr Hilfen für die Menschen im Gazastreifen auf.
Deutschland erhöht die Hilfe für Gaza kurzfristig um 50 Millionen Euro - die Frage ist nur, wieviel von den Hilfen ankommt, angesichts der gegenseitigen Angriffe aus Gaza und Israel.