Rentenreform in Frankreich Proteste schlagen wieder in Gewalt um
Mit einem massiven Polizeiaufgebot wollte Frankreichs Regierung weitere Krawalle verhindern. Doch auch am zehnten Protesttag gegen die Rentenreform kam es zu Gewalt - offenbar auf beiden Seiten. Die Reform wird nun vom Verfassungsrat geprüft.
In Frankreich haben erneut Hunderttausende Menschen gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron protestiert. Am Rande der Demonstrationen kam es nach Angaben der Polizei in mehreren Städten zu Krawallen.
Unter die von Gewerkschaften organisierten Protestzüge mischten sich auch Schüler und Studenten. Einige Gymnasien und Hochschulen wurden blockiert. Begleitet wurde der zehnte landesweite Protesttag erneut von Streiks, auch bei der Staatsbahn SNCF.
Massives Polizeiaufgebot
Die über Wochen friedlichen Proteste wurden zuletzt von massiver Gewalt und Auseinandersetzungen überschattet. Innenminister Gérald Darmanin wollte im Laufe des Tages insgesamt 13.000 Polizisten einsetzen, davon 5500 in Paris.
Trotz des massiven Aufgebots kam es in mehreren Städten zu Gewalt. In Nantes wurde etwa eine Bankfiliale in Brand gesetzt. Auch ein Auto wurde angezündet und Feuerwerkskörper auf die Polizei geschossen. Ein weiteres angezündetes Auto wurde am Nachmittag aus Rennes gemeldet, wo auch Straßen blockiert wurden.
In Paris hatte die Polizei Inhaber aufgefordert, ihre Geschäfte entlang der Demonstrationsroute zu schließen. Während der Demonstrationen setzten die Beamten Tränengas und Blendgranaten ein.
Schwere Vorwürfe gegen Polizisten
Doch auch Polizisten wenden offenbar immer wieder Gewalt an. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, mahnte in einer Stellungnahme am vergangenen Freitag, dass "sporadische Gewaltakte" einiger Demonstrierender nicht die "übermäßige Anwendung von Gewalt durch Beamte" rechtfertige.
Im Netz kursieren Dutzende Videos und Tonaufnahmen, die offenbar Gewalt durch Polizisten zeigen. Mittlerweile wurden 17 Verfahren bei der Aufsichtsbehörde der Polizei IGPN eröffnet.
Attacken gegen Beamte
In einer Pressekonferenz verteidigte Innenminister Gerald Darmanin zuletzt seine Beamtinnen und Beamten. Sie seien extrem gewaltsamen Akten ausgesetzt.
891 Polizisten und Gendarme seien in klar gegen sie gerichteten Attacken verletzt worden. Außerdem verzeichne man 2179 Fälle von Brandstiftung, erklärte Darmanin. Bei den Protesten heute seien 123 weitere Beamte im ganzen Land verletzt worden.
Reform wird vom Verfassungsrat überprüft
Der Zorn der Demonstranten richtet sich gegen die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Die Mitte-Regierung will mit der Reform eine drohende Lücke in der Rentenkasse schließen.
Der Streit verschärfte sich unter anderem, weil die Regierung den Text ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung drückte. Vor einer Woche scheiterten zwei Misstrauensanträge gegen die Regierung. Die Reform ist damit verabschiedet. Sie wird nun vom Verfassungsrat überprüft. Macron will, dass die Reform bis zum Jahresende in Kraft tritt.
Gewerkschaftschef regt Vermittlung an
Trotz der anhaltenden Proteste ist kein Einlenken der Regierung in Sicht. Der Chef der größten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, regte eine Vermittlung an. Die Reform müsse für einige Wochen ausgesetzt werden, um Beratungen mit einem kleinen Kreis von Vermittlern zu ermöglichen. Er warf der Regierung vor, den Dialog über die Reform zu verweigern. "Es ist unerträglich, dass wir abgeblockt werden."
Regierungssprecher Olivier Véran erklärte dagegen, miteinander reden könne man auch ohne Mediation. Wegen der geplanten Proteste war auch ein Staatsbesuch des britischen Königs Charles III. abgesagt worden.
Bagger räumen 7000 Tonnen Müll
Aufatmen gab es in Paris, wo die Gewerkschaft CGT nach mehr als drei Wochen Streik der Müllabfuhr ein Ende ankündigte. Mehr als 7000 Tonnen Abfall häufen sich noch in den Straßen. Inzwischen setzt die Stadt auch Bagger ein.
Mit Informationen von Julia Borutta, ARD-Studio Paris