Georgien Die Angst, vergessen zu werden
Während sich die Ukraine mit großen Schritten der EU nähert, fällt Georgien zurück. Das liegt an der Regierung, die sich autoritär und Russland-hörig zeigt. Doch viele wollen das nicht hinnehmen.
Die Party war zu Ende, bevor sie richtig begann. Die Gäste einer Hochzeitsfeier, zu denen die Tochter von Russlands Außenminister Sergej Lawrow zählte, wurden am Samstag von der Polizei aus einem Hotel am Kwareli-See im Nordosten Georgiens eskortiert.
Staatspräsidentin Salome Surabischwili sprach von einem "Sieg für die Gesellschaft", als sie die Nachricht verkündete. Ekaterina Lawrowa steht wie die Töchter von Russlands Präsident Wladimir Putin auf den Sanktionslisten der USA und der EU. Surabischwili forderte die georgischen Behörden auf, sich an diese zu halten. Die Präsidentin stellte sich damit einmal mehr gegen die Regierung, die auch mehrfach russischen Oppositionellen die Einreise verweigert hatte.
Aus dem Umfeld der Hotelbesitzer war zu hören, dass sich das Personal geweigert hatte, die Gäste zu bedienen. Vor dem Gelände hatten Anwohner und Aktivisten protestiert. Bilder vom brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstrierenden und Festnahmen sorgten für Empörung.
Zu den Festgenommenen zählte die Politikerin Helen Koschtaria, die mit ihrer Partei "Droa" (Es ist an der Zeit) zur liberalen Opposition zählt. Auf Twitter erklärte sie, weder sie, noch ihr Anwalt würden mit "diesem russischen System und seinen Gerichtsdienern" zusammenarbeiten.
Wut auf die Regierung
Auch wenn Koschtaria zu den Radikaleren zählt, teilen viele in Opposition und Gesellschaft ihre Wut auf die Regierung. Es sind jene, die ihre Zukunft in einem demokratischen, modernen Georgien als Mitglied der EU sehen. Doch die Regierungspartei "Georgischer Traum" des schwerreichen Geschäftsmanns Bidsina Iwanischwili verärgert die westlichen Verbündeten seit geraumer Zeit.
Dazu zählt seit der russischen Invasion in der Ukraine die Behauptung, die USA und die EU wollten Georgien in eine "zweite Front" gegen Russland treiben - was US-Botschafterin Kelly Degnan und EU-Vertreter unermüdlich als abwegig dementieren.
Georgien zurückgefallen
Doch während die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen als nächster Schritt für die Ukraine so gut wie sicher ist, bleibt beim Kandidatenstatus für Georgien ein großes Fragezeichen. Schwedens Botschafter Ulrik Tideström, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, äußerte sich bei einer Konferenz in Tiflis zurückhaltend.
Georgische Oppositionsvertreter verschiedener Parteien, darunter ehemalige Ministerinnen und Minister, erklärten bei der von der Friedrich-Ebert-Stiftung co-organisierten Veranstaltung wortreich, wie wichtig der Kandidatenstatus für ihr Land sei. Georgien müsse zu Moldau und der Ukraine aufschließen - das Volk verdiene es.
Doch die georgische Opposition wird bei der Parlamentswahl 2024 nur dann eine Chance haben, wenn sie es schafft, ein breites Bündnis gegen die Regierungspartei zu bilden. Denn diese schafft jetzt schon die Voraussetzungen für ihren sicheren Sieg, etwa durch die Besetzung der zentralen Wahlkommission. Und die Opposition muss glaubhafte Konzepte für die Nöte der Bevölkerung entwickeln, zu denen etwa die Folgen der Inflation zählen.
Leichtere Einreise nach Russland
Doch Russland lässt den Menschen keine Ruhe. Wie um die ohnehin gespaltene Gesellschaft in Georgien weiter auseinander zu treiben, ordnete Putin die Wiederzulassung von Direktflügen zwischen beiden Ländern sowie Visaerleichterungen für georgische Staatsbürger an.
Letzteres erleichtert den Hunderten Lkw-Fahrern die Arbeit, die täglich Waren von und nach Russland transportieren. Der nördliche Nachbar war nach Angaben des georgischen Statistikamtes auch 2022 Georgiens zweitwichtigster Handelspartner. Allerdings erhöht die Reiseerleichterung die Wahrscheinlichkeit, dass diese Wege zur Umgehung der Sanktionen gegen Russland genutzt werden, wofür Strafen aus Brüssel und Washington drohen.
Proteste gegen Russlandflüge
Der Protest richtet sich vor allem gegen die Direktflüge. Denn die georgische Regierung ließ sogleich die russische Airline Asimut und die notorisch klamme georgische Fluggesellschaft Georgian Airways zu. Zwar sind beide nicht von der Europäischen Union sanktioniert, aber sie hatte im Einklang mit den USA davor gewarnt, den Flugverkehr wieder aufzunehmen - auch wegen technischer Probleme infolge der Sanktionen.
Das erste Flugzeug aus Moskau landete am Freitag, begleitet von heftigen Protesten am Flughafen. Vor dem Parlament versammeln sich trotz Regens seitdem jeden Abend Demonstranten aller Altersgruppen.
Furcht vor Russland
Zur Sorge vor Strafen durch die EU kommt die Furcht vor Russland. Nach Angaben des Innenministeriums hielten sich Stand November 112.000 russische Staatsbürger in Georgien auf, das lediglich 3,7 Millionen Einwohner hat. In der Hauptstadt Tiflis ist überall Russisch zu hören - im Kontrast steht, was überall zu sehen ist: Ukraine-Flaggen und Graffitis wie "Russland ist ein Terrorstaat".
Befürchtet wird, dass unter den Eingereisten russische Agenten sind, die Putin Anlass für ein Eingreifen in Georgien liefern könnten. Dass Lawrows sanktionierte Tochter offenbar unbehelligt einreisen konnte, schürt das Misstrauen in die georgischen Behörden - und zeigt, dass solche Ängste nicht allzu weit hergeholt sind.