Russlands Schwarzmeerflotte Hafen unter Palmen
Russland hatte 2008 zwei abtrünnige Gebiete Georgiens militärisch besetzt. Nun im Krieg gegen die Ukraine kann es davon profitieren und brachliegende Kapazitäten aktivieren, darunter einen vergessenen Hafen.
Verfallene Gebäude aus Sowjetzeiten, überwuchert von üppiger subtropischer Vegetation und eine verfallene Strandpromenade bieten pittoreske Ansichten - Otschamtschire am Schwarzen Meer ist ein scheinbar von der Welt vergessener Ort in Abchasien. Die Region gehört völkerrechtlich zu Georgien, wird aber seit dem Krieg mit Russland im Jahr 2008 von russischen Truppen besetzt gehalten.
Von einstmals mehr als 20.000 Einwohnern des Städtchens blieben nach einem ersten Krieg um die Unabhängigkeit Abchasiens Anfang der 1990er-Jahre weniger als die Hälfte. Die dort lebenden Georgier flohen und kehrten seither nicht zurück.
Etwas fällt jedoch auf Satellitenbildern auf, die zum Beispiel bei Google Earth frei zugänglich sind. Nördlich des Orts sind leuchtend hellblaue Dächer auf einem eingezäunten Komplex mit Parkplätzen, Rasen und Fußballplatz zu erkennen. Es ist ein Marinestützpunkt der russischen Grenztruppen, die zum Inlandsgeheimdienst FSB gehören.
An dem Hafenbecken sind zudem kommerziell genutzte Betriebsgebäude, die Anlagen einer Kohleverladung und Lastenkähne zu erkennen. Dahinter bedeckt schwarzer Kohlestaub eine weite Fläche mit Fahrspuren schwerer Lastwagen.
Die Küste Abchasiens im östlichen Teil des Schwarzen Meeres ist für Russland von strategischer Bedeutung.
Russische Schwarzmeerflotte unter Beschuss
Nun könnte Abchasien zu einem Ausweichort für Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte werden. Deren Hauptstützpunkt lag bislang in Sewastopol auf der besetzten ukrainischen Halbinsel Krim. Dort geriet sie in den vergangenen Monaten in Bedrängnis. Ukrainische Drohnen beschädigten mehr als ein Dutzend Schiffe und Trockendockanlagen in Sewastopol.
Mitte September griff die Ukraine das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte an, mehrere hochrangige Offiziere sollen dabei getötet worden sein. Danach berichteten zahlreiche Medien auf Basis von Satellitenbildern über eine Verlegung von Schiffen in den östlich gelegenen kleineren Hafen Feodossija und nach Noworossisk auf russischem Territorium. Doch auch dort sollen ukrainische Drohnen schon russische Kriegsschiffe angegriffen haben.
Marinestützpunkt in Abchasien
Deshalb ließ eine Aussage des de facto Präsidenten von Abchasien, Aslan Bschanija, Anfang Oktober aufhorchen. Nach einem Treffen mit Wladimir Putin in Moskau sagte er der russischen Zeitung "Iswetija", er habe mit Russland ein Abkommen über die Einrichtung eines ständigen Stützpunktes der russischen Marine in der Region Otschamtschire geschlossen.
Nicht nur ist die Entfernung zur Ukraine noch einmal größer. Der Küstenabschnitt liegt auch völkerrechtlich gesehen auf dem Territorium des am Krieg unbeteiligten Staates Georgien. Darüber hinaus lässt sich von dort aus das östliche Schwarzmeer kontrollieren, wo die Hafenstädte Georgiens liegen, die für den Transport von Gütern an Russland und dem Iran vorbei von Bedeutung sind. Die EU will zudem ein Daten- und Energiekabel durch das Schwarze Meer in den Südkaukasus verlegen.
Kritik und Sorgen bei der NATO
Entsprechend sorgte die Ankündigung des abchasischen Präsidenten für Entrüstung. Georgiens Regierung sprach von einer groben Verletzung seiner territorialen Integrität und Souveränität. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stärkte Georgien demonstrativ den Rücken: "Wir unterstützen nachdrücklich die territoriale Integrität und Souveränität Georgiens. Natürlich akzeptieren wir nicht, dass diese abtrünnigen Gebiete von Russland zur Errichtung von Militärstützpunkten genutzt werden können", sagte er am 14. November in Brüssel.
Der Schritt zeige zudem, wie weit Russland zu gehen bereit sei, um seine militärischen Ziele in der Ukraine zu erreichen. Deutlich werde aber auch, dass die Ukraine erfolgreich Marineeinrichtungen auf der Krim angegriffen habe und Russland deshalb nach Alternativen suche, so Stoltenberg. Die parlamentarische Versammlung der NATO warnte vor einer weiteren Destabilisierung der Schwarzmeerregion.
Langfristiges Handeln Russlands
Russland kann nun auf Abchasien als möglichen Rückzugsort für seine Kriegsflotte zurückgreifen kann, da die Infrastruktur bereits vorhanden ist.
Bereits in den Anfangszeiten der Sowjetunion war in dem abchasischen Küstenort Otschamtschire ein Marinestützpunkt errichtet worden. Auch nach dem Ende der Sowjetunion behielt Russland Militärbasen im Südkaukasus, den es als vorgelagerte Sicherheitszone beansprucht.
Erst nach langen Verhandlungen zogen die letzten russischen Soldaten 2007 von den Basen in der Hafenstadt Batumi und einem weiteren Standort in Georgien ab.
Doch Russland blieb nicht lange ohne Militärpräsenz in dieser Region. Schon wenige Monate später - im August 2008 - drangen russische Truppen wieder auf georgisches Territorium vor.
Ausgelöst hatte den "Fünf-Tage-Krieg" der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili mit einem Angriffsbefehl auf das abtrünnige Gebiet Südossetien. Doch vorausgegangen waren offene militärische Auseinandersetzungen als Höhepunkt einer Eskalation, die schon Jahre zuvor begonnen hatte.
Keine zwei Wochen nach Vereinbarung eines Waffenstillstandes erkannte Russland Abchasien und Südossetien als unabhängig an und schloss mit ihnen Verteidigungsabkommen.
Hafenausbau nötig
Die russischen Streitkräfte und Grenztruppen errichteten danach eine Vielzahl neuer Basen und Stützpunkte in beiden Gebieten. Bereits 2009 kündigte der damalige abchasische Präsident den Bau einer Marinebasis in Otschamtschire an. 2017 wurde der Marinestützpunkt der russischen Grenztruppen dort in Betrieb genommen.
Allerdings ist das Hafenbecken klein und flach, weshalb es sich bislang nicht für größere Kriegsschiffe eignet. Lediglich Boote und Korvetten ankern dort. Deshalb ist die Frage, ob in den vergangenen Wochen bereits Bautätigkeiten begonnen wurden.
Mit dieser Fragestellung wertete die Rechercheorganisation Bellingcat Satellitenaufnahmen verschiedener Zeiträume aus. "Wir haben überblicksartig historische Satellitenbilder überprüft und im Vergleich keine großen oder wesentlichen Veränderungen im militärischen Teil des Hafens von Otschamchire seit Anfang 2022 festgestellt. Wenn tatsächlich beabsichtigt ist, viel größere Schiffe dorthin zu verlegen, dann müsste der Hafen wahrscheinlich erweitert und ausgebaggert werden. Auf den Satellitenbildern ist noch keine Ausrüstung dafür zu sehen", teilte Bellingcat-Redakteur Maxim Edwards tagesschau.de mit.
Allerdings gebe es erste Hinweise darauf, dass der kommerzielle Teil des Hafens erweitert werden soll, wie es die abchasische Führung im Oktober angekündigt hatte.
Umgehung von Sanktionen
Abgesehen vom militärischen Aspekt könnte Abchasien eine Rolle bei der Umgehung der gegen Russland verhängten Sanktionen spielen. Wobei insbesondere von Vorteil ist, dass es sich um ein international weder anerkanntes, noch kontrolliertes Gebiet handelt.
Im April erklärte der Zollchef Abchasiens, dass per Zug 2.700 Tonnen Fracht aus Russland über abchasisches Territorium transportiert und in die Türkei verschifft worden seien. Er sagte dem Medium "Echo des Kaukasus" zufolge, der Handelsumsatz Abchasiens mit Russland sei in den ersten Monaten des Jahres 2023 erheblich gestiegen. Dieser könne künftig einfacher werden und weiter zunehmen, wenn Abchasien wie angekündigt Mitglied der Staatenunion mit Russland und Belarus wird.
Russland übt seit Jahren Druck auf die abchasische Führung aus, das Gebiet für ausländische, mithin russische Investoren zu öffnen. Dies traf in der Bevölkerung auf massiven Widerstand, die auf ihre Eigenständigkeit pocht. Sie befürchtet einen Ausverkauf ihres Territoriums, wenn zum Beispiel der Immobilienmarkt für russische Staatsbürger geöffnet wird.
Kremlnaher Geschäftsmann investiert
Gegen heftige Kritik ratifizierte das de facto Parlament in Suchumi kürzlich einen Deal mit einem russischen Geschäftsmann über ein Investment-Projekt für den seit den 1990er-Jahren verfallenden Flughafen. Medienberichten zufolge soll es sich beim Investoren um einen Geschäftsmann aus dem Umfeld des Kreml handeln.
Es wäre ein für den russischen Machtapparat typisches Vorgehen, auch bei Militärprojekten. Diese werden aber wie andere Großvorhaben auch immer von Korruptionverdächtigungen begleitet. Das verteuert sie nicht nur. Ihre Umsetzung kann sich auch lange hinziehen.
Das offenbar wachsende Engagement Russlands in der östlichen Schwarzmeerregion spricht jedenfalls dafür, dass Russland nun auf jene Möglichkeiten zurückgreift, die es sich auf militärischem Wege bereits 2008 geebnet hat.