Inflation in Großbritannien "Es wird alles teurer. Einfach alles"
Die Energiepreise: steigen und steigen. Die Inflationsrate: mittlerweile zweistellig. Viele Briten sorgen sich, was ihnen demnächst noch für Lebensmittel bleibt. Entlastungen sollen helfen, aber reichen sie aus?
Sue Lucas hat einen kleinen Fischladen in Camberley - einer Stadt westlich von London. Die Unternehmerin spürt die Inflation täglich. Alles werde teurer, zählt sie im TV-Sender ITV auf: "Energie, Verpackung, Vertrieb, die Reinigungskosten steigen, die Preise für Saucen. Einfach alles." Und im Moment heiße das: Der Gewinn fällt geringer aus - "definitiv".
Auch viele Familien und Rentner haben mit den steigenden Kosten zu kämpfen. Janet Kane war vor zwei Jahren in Ruhestand gegangen, mit 66. Jetzt musste sie wieder in einem Pflegeheim anfangen zu arbeiten - wegen der hohen Preise, vor allem wegen der hohen Energiekosten. Mit dem, was sie dazuverdient, bleiben ihr gerade einmal 63 Pfund - umgerechnet etwa 75 Euro - für Lebensmittel im Monat.
Der Geldwert wird immer geringer
Kane ist kein Einzelfall: Mehr als zwei Millionen Rentner leben im Vereinigten Königreich in Armut. Und nun ist die Inflationsrate erstmals seit Jahrzehnten auf mehr als zehn Prozent gestiegen, vor allem wegen der enormen Kosten für Gas und Strom.
Denn im Vereinigten Königreich wird viel mit Gas geheizt, auch für die Stromgewinnung ist Gas wichtig. Die Kosten für Strom und Gas werden für den typischen Haushalt weiter steigen, bis zum nächsten April auf rund 5300 Euro pro Jahr.
Mittlerweile reagieren auch Unternehmen auf die Lage. Eine Lebensmittelkette kündigte an, zinslose Kredite für den Einkauf anzubieten. Dabei geht es um kleinere Beträge bis zu 100 britische Pfund (120 Euro). Kritiker wie die Labour-Abgeordnete Stella Creasy befürchten allerdings, dass ein solches Angebot eher zum Geldausgeben verführen könne.
"Das wird nicht reichen"
Die Regierung hat schon im Mai eine Reihe von Hilfen beschlossen. Jeder Haushalt soll mit etwa 480 Euro entlastet werden. Für Rentner kommen nochmal 180 Euro obendrauf. Die, die eine Art Sozialhilfe empfangen, bekommen noch mal mehr.
Das sei ein ziemlich umfassendes Programm, sagt Paul Johnson, Direktor des Institute for Fiscal Studies, einem unabhängigen Wirtschaftsinstitut. Doch die Inflation und vor allem die Energiepreise seien jetzt viel höher als noch im Mai, wendet Johnson ein. Seine Schlussfolgerung: "Für viele Haushalte wird das also nicht reichen."
Das sehen auch die Spitzenkandidaten für den Vorsitz der Konservativen Partei so. Doch die sind im Wahlkampf, und Noch-Premier Boris Johnson ist - trotz Krise - im Urlaub.
Zwei Kandidaten, zwei Konzepte
Ex-Finanzminister Rishi Sunak kündigte an, die Mehrwertsteuer für Strom und Gas zu reduzieren, was den Staat mehr als 14 Milliarden Euro kosten würde. Außerdem will er weitere Unterstützungszahlungen für Haushalte auf den Weg bringen.
Außenministerin Liz Truss hingegen, die mit ihm um Johnsons Nachfolge konkurriert, will die Steuern senken und Abgaben für eine grüne Energiewende streichen. Kritiker werfen ihr vor, damit nicht die Bedürftigen der Gesellschaft zu erreichen.
Die Labour-Partei fordert, die Energiepreise beim derzeitigen Niveau einzufrieren und so deutliche Erhöhungen abzuwenden. Bezahlen sollen das die Konzerne. Oppositionsführer Keir Starmer will die Übergewinnsteuer deutlich anheben:
Wir haben die Wahl. Wir können Öl- und Gaskonzerne riesige Gewinnen erwirtschaften lassen, während Millionen Haushalte ihre Rechnungen nicht zahlen können, oder wir tun etwas dagegen.
Mehr Schulden - ist das vertretbar?
Ein Vorschlag, der sogar die Inflation senken könnte. Denn die Pläne von Truss und Sunak kosten viel Geld, der Staat müsste sich weiter verschulden.
Paul Johnson vom Institute for Fiscal Studies sagt, mehr staatliche Ausgaben könnten zu mehr Inflation führen - und dazu, dass die Zentralbank die Leitzinsen erhöht. Aber er glaubt: "Dieses Risiko muss man in Kauf nehmen."