IGH und IStGH zu Russland Ein Krieg, zwei Gerichte
Der Internationale Gerichtshof hat angeordnet, dass Russland den Krieg in der Ukraine stoppen muss. Was heißt das? Und was ist der Unterschied zum Internationalen Strafgerichtshof, der auch ermittelt?
IGH und IStGH - was ist der Unterschied?
Den Haag ist vielen als Stadt des internationalen Rechts ein Begriff. Weniger bekannt ist allerdings, dass es dort gleich zwei internationale Gerichte mit unterschiedlichen Aufgaben gibt. Da ist zunächst der Internationale Gerichtshof (IGH), der bereits eine Eilentscheidung zum Krieg in der Ukraine getroffen hat. Der IGH ist ein Gericht der Vereinten Nationen, das 1946 seine Arbeit aufnahm. Wichtig: Dort werden nicht einzelne Personen verklagt oder angeklagt. Ein Staat verklagt dort den anderen Staat wegen möglicher Verstöße gegen das Völkerrecht. Die Ukraine verklagt also Russland. Völkerrecht - das sind vor allem die Regeln, die das Verhältnis der Staaten untereinander regeln.
Unabhängig davon gibt es seit 2002 den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Er gehört nicht zu den Vereinten Nationen. Seine Grundlage ist ein eigener internationaler Vertrag. Wichtig: Am IStGH werden nicht Staaten, sondern einzelne Personen angeklagt. Vom einzelnen Soldaten bis hin zum obersten Befehlshaber. Der IStGH ist zuständig für folgende Straftaten: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Aggression und Völkermord.
Was hat der IGH zum Krieg in der Ukraine entschieden?
Einer der zentralen Sätze lautet, dass Russland die militärischen Einsätze unterbrechen muss. Das Gericht hat mehrere vorläufige Maßnahmen angeordnet. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus und wird dauern. Inhaltlich dreht sich der Streit um die Völkermord-Konvention von 1948.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den Krieg öffentlich damit gerechtfertigt, dass in der Ost-Ukraine ein Völkermord stattfinde. Die Ukraine hatte daraufhin in Den Haag um Klarstellung gebeten, dass das nicht stimme. Für den Gerichtshof liegen zum jetzigen Zeitpunkt keine "substantiierten" Belege für einen Völkermord in der Ukraine vor.
Welche Folgen hat das Urteil?
Keine direkten. Das Urteil wird keine russischen Panzer stoppen. Die Entscheidung ist zwar bindend. Das Gericht hat aber keine eigenen Mittel, um seine Entscheidungen durchzusetzen.
Völkerrecht hängt oft von der Akzeptanz der Staaten ab. Im Prinzip ist der UN-Sicherheitsrat dafür zuständig, Urteilen des IGH Wirksamkeit zu verschaffen. Doch dort hat Russland ein Vetorecht.
Warum geht von der Entscheidung trotzdem eine Signalwirkung aus?
Weil immerhin das Gericht der Vereinten Nationen Putins zentrale Rechtfertigung für den Kriegsbeginn - in der Ostukraine finde ein Völkermord statt - massiv ins Wanken bringt. Schon die rechtlichen Einschätzungen aus Den Haag sind ein wichtiges Signal.
Russland hatte nicht an der Verhandlung in Den Haag am 7. März teilgenommen. Interessant ist aber: Es hat eine schriftliche Stellungnahme nachgereicht. Darin wird nicht mehr die Gefahr eines Völkermords als Kriegsgrund genannt, sondern nur noch das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Der IGH sei deshalb gar nicht zuständig für den Fall, weil Russland nicht generell unterworfen hat.
Warum war die Eilentscheidung möglich, obwohl Russland den Gerichtshof nicht grundsätzlich anerkennt?
Das liegt am Gegenstand des Rechtsstreits. Russland und die Ukraine haben beide die "Völkermord-Konvention" ratifiziert. Darin steht, dass für Streit rund um die Konvention der IGH zuständig ist.
Der Schachzug der Ukraine war es, die russischen Argumente vom vermeintlichen Völkermord zu nutzen. Über diesen Weg hat sich der Gerichtshof im konkreten Fall für zuständig erklärt.
Welche Rolle spielt der IStGH gerade?
Karim Khan ist der Chefankläger des IStGH, also der oberste Staatsanwalt dort. Er untersucht bereits seit 2014, ob es in der Ukraine etwa zu Kriegsverbrechen gekommen ist. Hintergrund waren die Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim und der Konflikt in der Ostukraine.
Diese Ermittlungen sollen nun auch "alle neuen mutmaßlichen Verbrechen" umfassen, die auf dem Gebiet der Ukraine begangen werden und in die Zuständigkeit des IStGH fallen, teilte Khan Anfang März 2022 mit. Aktuell geht noch nicht um konkrete Beschuldigte, sondern um Ermittlungen rund um Aktionen, die Kriegsverbrechen sein könnten.
bewaffnete Uniformierte ohne Abzeichen tauchten 2014 im Zuge der Annexion auf der Krim auf. Später räumte Russland ein, dass es sich um russische Soldaten gehandelt habe.
Warum kann der IStGH ermitteln, obwohl Russland und die Ukraine keine Vertragsstaaten sind?
Russland und die Ukraine sind dem IStGH nicht beigetreten. Der Gerichtshof kann aber aus Sicht des Anklägers trotzdem mögliche Verbrechen auf dem Gebiet der Ukraine untersuchen, weil die Ukraine in zwei Erklärungen 2014 und 2015 nach der Annexion der Krim eine sogenannte ad-hoc-Anerkennung ausgesprochen hat. Damit habe sie bis heute Ermittlungen auf ihrem Staatsgebiet zugestimmt. Nur Ermittlungen wegen des Delikts "Aggression" sind über diesen Weg rechtlich nicht möglich und deshalb ausgenommen.
Wie realistisch ist es, dass russische Verantwortliche auf der Anklagebank in Den Haag landen?
Kurzfristig ist das wohl unrealistisch. Mittel- und langfristig kann der IStGH aber zum Beispiel Haftbefehle erlassen. Er hat dann keine eigene Polizei, die er nach Russland schicken könnte, um dort jemanden zu verhaften. Die möglichen Beschuldigten müssten allerdings gut überlegen, in welche Länder sie reisen. Weil das Risiko bestünde, dort verhaftet zu werden. Voraussetzung wäre natürlich immer, dass sich etwa Kriegsverbrechen gerichtsfest nachweisen lassen. Eine Immunität genießen Staatschefs am IStGH nicht.
"Putin nach Den Haag" - eine Forderung, die derzeit auf vielen Kundgebungen erhoben wird. Realistisch ist sie aber nicht.
Warum ermittelt auch der deutsche Generalbundesanwalt bereits wegen möglicher Kriegsverbrechen?
Nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch ist es möglich, dass der Generalbundesanwalt auch bei bestimmten Verbrechen ermittelt, die nicht in Deutschland begangen wurden, und bei denen es keine deutschen Täter und Opfer gibt. Ein Beispiel dafür war der Koblenzer Prozess gegen syrische Geheimdienstmitarbeiter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Anfang 2022 endete.
Damit solche Ermittlungen aber rein praktisch in einem Strafprozess münden können, müssten sich Beschuldigte in Deutschland aufhalten, so wie es beim Syrien-Prozess der Fall. Ob das allerdings realistisch wird, lässt sich heute noch nicht absehen. In einem deutschen Strafverfahren würde ein amtierendes ausländisches Staatsoberhaupt rechtlich aber Immunität genießen. Bislang führt der Generalbundesanwalt keine konkreten Personen als Beschuldigte.