Bodentruppen in der Ukraine Was könnten Macrons Motive sein?
Die NATO, andere EU-Staaten und die eigene Opposition: Macrons Gedankenspiel über Bodentruppen in der Ukraine erntet ausnahmslos Kritik. Was bezweckt Frankreichs Präsident mit seinem Vorstoß?
Das Treffen in Paris sollte eine Demonstration der Einigkeit werden - im Gedächtnis bleiben wird es als Meilenstein der Uneinigkeit. Und zwar weil Emmanuel Macron vorgeprescht ist, einmal mehr. Die Frage einer Journalistin, ob es stimme, was der russlandfreundliche slowakische Ministerpräsident Robert Fico berichte - nämlich, dass die Pariser Runde über die Entsendung von Bodentruppen gesprochen habe - bejahte Macron.
Man habe über alles sehr offen und direkt diskutiert. Es gebe zwar keinen Konsens darüber, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken. "Aber wir haben eine Dynamik, in der nichts ausgeschlossen werden darf. Wir tun alles, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann", so der französische Präsident.
Andere Länder winken ab
Als Macron dies sagte, waren viele Mitstreiter bereits abgereist. Doch die Reaktionen ließen am Morgen nicht lange auf sich warten. Polen, Italien, Großbritannien, die Slowakei teilten umgehend mit, sie planten keine Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden.
Schweden erklärte, Bodentruppen seien aktuell kein Thema und Bundeskanzler Olaf Scholz versicherte am Rande einer Veranstaltung in Freiburg: "Auch für die Zukunft gilt, dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder NATO-Staaten dort hingeschickt werden."
"Strategische Ambiguität" gegenüber Russland
Nun wird gerätselt, warum Macron sich ohne Not so weit aus dem Fenster gelehnt hat. Fest steht, dass der Vorstoß zum Thema Bodentruppen zu seiner Philosophie der Abschreckung, der "strategischen Ambiguität" gegenüber Russland passt. Moskau dürfe sich nicht in Sicherheit wiegen. Es gebe keine Unterstützungsmüdigkeit in der EU, hieß aus dem Elysée-Palast im Vorfeld der Konferenz.
Gleichzeitig definiert sich Macron als Anführer in der EU, als derjenige, der das Ziel der Souveränität Europas ins Bewusstsein der Staats- und Regierungschefs gebracht habe, der Europa antreibe, sich unabhängiger zu machen. Er sagte: "Es ist doch unsere Zukunft. Europa steht auf dem Spiel! Also müssen auch die Europäer entscheiden. Wir müssen auch ohne die Hilfe von außen klarkommen. Nicht aus Argwohn oder Pessimismus, sondern einfach, weil es von uns abhängt."
Spitze gegen Deutschland?
Doch sein Vorstoß kann auch als eine Spitze gegenüber Deutschland verstanden werden. Denn Deutschland und Frankreich beschuldigen sich gegenseitig, nicht genug zur Unterstützung der Ukraine zu tun. Berlin kritisiert, Frankreichs Ukraine-Hilfe sei viel zu gering. Paris wiederum weist daraufhin, dass man im Gegensatz zu Deutschland Langstreckenraketen liefere, die auf dem Schlachtfeld dringend gebraucht würden.
Es schien kaum verhohlene Kritik an Kanzler Scholz zu sein, als Macron am Montagabend erklärte: Viele derjenigen, die heute sagten, "nie, niemals", seien dieselben wie diejenigen, die in der Vergangenheit gesagt hätten: "Niemals Panzer, niemals Flugzeuge."
Kritik von Opposition - und aus dem Kreml
In Frankreich selbst ist Macrons Aussage, die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht auszuschließen, auf weitgehend einhellige Ablehnung gestoßen. Der linksradikale Wortführer Jean-Luc Mélenchon von der Partei La France Insoumise schrieb auf X, damit würde Frankreich zu einem Kriegsbeteiligten. "Diese verbale Eskalation einer Nuklearmacht gegen eine große andere Nuklearmacht ist unverantwortlich".
Auch die Fraktionschefin des extrem rechten Rassemblement National, Marine Le Pen, lehnte den Vorstoß von Macron ab. Der Präsident spiele "Kriegschef". Und Oliver Faure, der Chef der Sozialisten, kritisierte, der Präsident habe mit "besorgniserregender Leichtigkeit" durchblicken lassen, dass Frankreich zur Kriegsbeteiligten werden könne. Den Kontinent in einen Krieg gegen Russland hineinzuziehen, wäre ein "Wahnwitz", so Faure. Macrons Premierminister Gabriel Attal wiederum verteidigte die Haltung des Präsidenten. Im Parlament warnte er: "Niemand weiß, wo Moskau innehalten wird".
Moskau selbst reagierte harsch. Ein Kreml-Sprecher erklärte, allein die Tatsache, dass die Möglichkeit der Entsendung einiger Kontingente aus NATO-Ländern in die Ukraine diskutiert werde, sei ein "sehr wichtiges neues Element." Dies hätte unvermeidlich eine Konfrontation zur Folge.
Beschlüsse zu Munitionsbeschaffung
Über den Streit um die Bodentruppen gingen die Kern-Vereinbarungen der Pariser Konferenz fast unter. 15 Staatenvertreter sprachen sich demnach für den tschechischen Vorschlag aus, Munition für die Ukraine im außereuropäischen Ausland einzukaufen. Die Niederlande wollen dafür 100 Millionen Euro bereitstellen.
Der französische Präsident begrüßte in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag, den die Regierungschefin Estlands vor einigen Wochen gemacht hatte. Und zwar, einen EU-Schuldenfonds einzurichten, um solche Käufe möglich zu machen. Munition sei derzeit die oberste Priorität, bekräftigte Macron: "Wir wollen alles unternehmen, um Munition im Ausland einzukaufen."
Koalition der Willigen für Langstreckenraketen
Ein sensibles Thema ist und bleibt die Frage der Langstreckenraketen. Kanzler Scholz, der rasch nach Ende der Konferenz abreiste, lehnt es ab, "Taurus"-Marschflugkörper zu liefern. Frankreich hingegen liefert seine Langstreckenrakete SCALP. Nun soll eine Koalition aus willigen Staaten gebildet werden, um die Lieferung von Mittel- und Langstreckenraketen zu organisieren.
Aus Sicht von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj sicher ein willkommener Schritt. Er hatte zu Beginn der Konferenz per Videobotschaft das Wort an seine Verbündeten gerichtet: "Zusammen haben wir bereits Millionen Leben gerettet, und zusammen müssen wir nun sicherstellen, dass Putin nicht das Erreichte wieder zerstört und dass er seine Aggression nicht auf andere Staaten ausweiten kann."
Fünf Ziele
Wie zum Beispiel Moldawien. Die Teilnehmer der Konferenz einigten sich auf fünf Ziele, die man gemeinsam verfolgen wolle: Moldawien zu schützen, die Cyberabwehr gegen Russland zu intensivieren, die Ukraine an der belarusischen Grenze zu stärken, Waffen und Munition zu produzieren und bei der Minenräumung zu helfen.