Prozess gegen Kremlkritiker Nawalny zu weiterer Haftstrafe verurteilt
Der inhaftierte Kremlkritiker Nawalny ist wegen Extremismusvorwürfen zu einer weiteren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Seine Unterstützer erwarten nun noch strengere Haftbedingungen als bislang.
Ein russisches Gericht hat den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny zu einer neuen Haftstrafe verurteilt. Die Strafe gegen den 47-Jährigen erging in einem international als politische Inszenierung kritisierten Prozess in dem Straflager, in dem Nawalny derzeit inhaftiert ist. Er war wegen angeblichen Extremismus angeklagt worden.
Zunächst hatten mehrere Nachrichtenagenturen über eine Haftdauer von 19 Jahren berichtet. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch erklärte auf Nachfrage der dpa, dass mit dem Urteil die Gesamtlänge der Haftdauer gemeint sein sollte; also die neun Jahre Straflager, zu denen Nawalny bereits verurteilt wurde, mit eingerechnet seien. Es bleibe aber das schriftliche Urteil abzuwarten, sagte sie.
Die Staatsanwaltschaft hatte 20 Jahre Straflager für Nawalny gefordert und ihn unter anderem bezichtigt, eine extremistische Organisation gegründet und finanziert zu haben. Er selbst weist die Vorwürfe zurück, auch westliche Beobachter halten sie für politisch motiviert.
Strenge Haftbedingungen erwartet
Nawalnys Team erklärte, dass die Strafe in einem Lager unter besonderen Haftbedingungen abgesessen werden solle, die noch strenger seien als die in der bisherigen Kolonie. Nawalny sei wie ein "König" lächelnd ohne Fesseln allein in den Saal gekommen, kommentierten seine Mitarbeiter, die sich im Exil in der EU aufhalten, bei einer Livesendung auf YouTube. Sein Bruder Oleg Nawalny, der selbst schon inhaftiert gewesen war, sagte, dass Alexej in guter "moralischer und physischer Verfassung" sei.
Seine Unterstützer kritisieren, dass der Prozess nicht vor dem Moskauer Stadtgericht, sondern direkt in Nawalnys Strafkolonie im mehr als 200 Kilometer von Moskau entfernten Melechowo abgehalten wird. Dort versammelten sich vereinzelt Aktivisten, um den Oppositionsführer zu unterstützen. Nawalny wird nach Berichten seines Teams durch unmenschliche Haftbedingungen und Dauerisolation gefoltert.
Baerbock sieht "blankes Unrecht"
Das Urteil gegen Nawalny sorgt auch für internationale Kritik. Außenministerin Annalena Baerbock warf Russland "Willkürjustiz" vor. Die Freiheitsstrafe sei "blankes Unrecht", schrieb sie auf der Plattform X (früher Twitter). Russlands Präsident Wladimir Putin "fürchtet nichts mehr als Eintreten gegen Krieg und Korruption und für Demokratie - selbst aus der Gefängniszelle heraus". Er werde damit kritische Stimmen nicht zum Schweigen bringen, fügte sie hinzu.
Die Vereinten Nationen forderten die "sofortige" Freilassung Nawalnys. Die Verurteilung des Kremlkritikers "gibt Anlass zu neuer Besorgnis über die Schikanierung durch die Justiz und die Instrumentalisierung des Gerichtssystems für politische Zwecke in Russland", erklärte UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk.
Auch die Europäische Union bezeichnete das Urteil als "inakzeptabel" und sprach von einem "Scheinprozess" gegen Nawalny. "Diese willkürliche Verurteilung ist die Antwort auf seinen Mut, sich kritisch gegen das Kremlregime zu äußern", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell teilte mit, die EU verurteile Nawalnys Festnahme, seinen Prozess und seine Verurteilung "auf das Schärfste".
Fünftes Urteil gegen Nawalny
In der Strafkolonie Melechowo leistet Nawalny derzeit eine neunjährige Haftstrafe wegen Betrugs und Missachtung der Justiz ab. 2021 wurde er zudem wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen verurteilt. Das heutige Urteil ist das insgesamt fünfte gegen Nawalny. Die Prozesse gegen ihn werden weithin als Versuch des Kremls gewertet, den entschlossenen Kritiker von Präsident Putin mundtot zu machen. Nawalny hatte in der Vergangenheit Fälle von Korruption in Russland öffentlich gemacht und Demonstrationen gegen Putin organisiert.
Die Vorwürfe im neuesten Prozess bezogen sich unter anderem auf seine Antikorruptionsstiftung. Nach Angaben seiner Mitstreiter sollen damit rückwirkend alle Aktivitäten der Stiftung als strafbare Handlungen eingestuft werden. Am Donnerstag rief Nawalny über sein Team die Russen auf, Widerstand zu leisten und politische Gefangene zu unterstützen. Nichts zu unternehmen und sich einschüchtern zu lassen, wäre eine Schande, hieß es in dem Posting auf X.
Menschenrechtler weisen derweil immer wieder auf die angeschlagene Gesundheit Nawalnys hin, der im Sommer 2020 nur knapp einen Nervengiftanschlag überlebte. Nawalny wirft dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Putin vor, hinter dem Mordanschlag zu stecken. Der Kreml dementiert das. Nach einer Behandlung in Deutschland kehrte er im Januar 2021 in seine Heimat Russland zurück - im Wissen, dass er dort verhaftet werden würde. Noch am Flughafen wurde er abgeführt.