Stundenlange Urteilsverkündung Viele Hundert Jahre Haft im Mafia-Prozess
Es war einer der größten Mafia-Prozesse in Italien: Mehr als 300 Mitglieder der 'Ndrangheta und Helfer waren angeklagt. Nun verhängte das Gericht zusammengerechnet Haftstrafen von vielen Hundert Jahren.
In Italiens größtem Mafia-Prozess seit Jahrzehnten hat ein Gericht in der südlichen Region Kalabrien Haftstrafen von vielen Hundert Jahren verhängt. Die höchsten Strafen gab es gegen zwei Bosse der Verbrecherorganisation 'Ndrangheta, die jeweils für 30 Jahre ins Gefängnis müssen.
Verurteilt wurde auch ein ehemaliger Abgeordneter der Regierungspartei Forza Italia: Der konservative Politiker Giancarlo Pittelli muss für elf Jahre hinter Gitter, weil er in Diensten der Mafia stand. Ins Gefängnis kommen zudem mehrere Ex-Polizisten und andere korrupte Beamte.
Stundenlange Urteilsverkündung
In dem Verfahren mussten sich seit knapp drei Jahren mehr als 300 mutmaßliche Mitglieder oder Helfer der Mafia vor der Justiz verantworten. Die Staatsanwaltschaft forderte Strafen von bis zu 30 Jahren Gefängnis - für alle Angeklagten insgesamt mehr als 4.700 Jahre.
Die Verlesung der vielen Urteile zog sich über mehrere Stunden hin. Die Vorwürfe lauteten von Mord und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung über Drogenhandel und Geldwäsche bis hin zu Korruption bei staatlichen Bauaufträgen.
Aussagen von mehr als 50 Kronzeugen
Mit dem Prozess wollte der italienische Staat deutlich machen, dass er sich mit dem Wirken der Mafia nicht abfinden will. Grundlage dafür waren Aussagen von mehr als 50 verschiedener Kronzeugen, die der 'Ndrangheta abgeschworen haben. Viele leben heute in Zeugenschutzprogrammen. Normalerweise gilt in der Mafia das "Gesetz des Schweigens" - also, dass niemand Aussagen macht.
Das Urteil gegen den obersten mutmaßlichen Clan-Boss Luigi Mancuso steht allerdings noch aus. Sein Verfahren wurde von dem Mammutprozess abgetrennt.
Callcenter in Hochsicherheitstrakt umgebaut
Wegen der enormen Dimension des Prozesses war in Lamezia Terme eigens ein Callcenter in einen Hochsicherheitstrakt umgebaut worden - mit einem Gerichtssaal von mehr als 100 Meter Länge, 35 Meter Breite und vergitterten Zellen. Damit sich Richter, Anwälte, Zeugen und Mafiosi nicht zufällig über den Weg laufen, gab es sogar getrennte Toiletten: insgesamt 32.
Dass der Prozess überhaupt zustande kam, ist der Verdienst von Oberstaatsanwalt Nicola Gratteri. Der 65-Jährige kämpft seit mehr als drei Jahrzehnten gegen die Mafia. Nach jahrelangen Ermittlungen ließ er kurz vor Weihnachten 2019 Hunderte mutmaßliche Mafiosi und Helfer verhaften. Die Polizei war an jenem Dezembermorgen mit 3.000 Carabinieri im Einsatz, auch in Deutschland fanden Einsätze statt.
Mächtigste Verbrechergruppe Italiens
Die 'Ndrangheta aus Kalabrien war früher in Italien die Nummer drei der Mafia-Organisationen, hinter der Cosa Nostra aus Sizilien und der Camorra aus Neapel. Sie besteht nach Einschätzung von Experten aus etwa 150 Familien. Heute ist sie mit Abstand Italiens mächtigste Verbrechergruppe mit Verbindungen in alle Welt.
Das Geschäft mit Kokain in Europa ist nach Einschätzung von Experten weitestgehend in ihrer Hand, auch in Deutschland. Ihr weltweiter Umsatz wird auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.