Druck auf Russlands Opposition Unbeugsam - trotz drohender Haft
Nach seiner Festnahme droht dem russischen Oppositionellen Roisman eine lange Haftstrafe. Er gehört zu den wenigen Stimmen, die Russlands Angriff auf die Ukraine noch offen verurteilen. Auch staatlicher Druck ändert daran nichts.
Mitte Juli postete der ehemalige Bürgermeister von Jekaterinburg, Jewgenij Roisman, ein Foto aus früheren Zeiten. Es zeigt ihn gemeinsam mit den Oppositionspolitikern Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin und Andrej Piwowarow. "Ich allein", schrieb er dazu, "bin noch in Freiheit".
Seit gestern sitzt Roisman nun selbst hinter Gittern. Nach einer Hausdurchsuchung wurde er in Gewahrsam genommen - vor laufenden Kameras.
Unter welchem Artikel des Strafgesetzbuches man ihn mitnehme, fragt er dabei Polizisten. Die nennen Artikel 280.3 - er stellt öffentliche Handlungen unter Strafe, die darauf zielen, die russischen Streitkräfte zu diskreditieren.
Prozess an einem anderen Ort
Roismann soll der Prozess gemacht werden, allerdings nicht in Jekaterinburg, wo er nach wie vor Unterstützer hat, sondern in Moskau. Weil er die sogenannte "spezielle Militäroperation" in der Ukraine öffentlich einen Krieg nennt. Weil er von einer Invasion spricht. Und weil er - noch während er abgeführt wird - ankündigt, dies auch weiter tun zu wollen.
Weder Roisman noch Jaschin oder Kara-Mursa wollen sich dem massiven Druck der russischen Sicherheits- und Justizbehörden beugen. Wohlwissend, dass ihnen aufgrund der verschärften Gesetzgebung nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine mehrjährige Haftstrafen drohen. Wegen Diskreditierung der Streitkräfte oder aber - was noch schwerer wiegt - wegen der Verbreitung von Falschnachrichten über die russische Armee.
"Meine Position ist sehr einfach: Ich werde nicht weglaufen, ich werde mich vor niemandem verstecken. Ich bin gegen den Krieg, weil ich ein Patriot bin. Denn dieser Krieg schadet aus meiner Sicht den nationalen Interessen meines Landes", hatte Jaschin in den sozialen Medien zu Protokoll gegeben, nachdem ihm mehrere gerichtliche Vorladungen zugestellt worden waren.
Erste Warnung: eine Geldstrafe
In der Regel geht es zunächst um administrative Verfahren. Um Ordnungswidrigkeiten, die mit Geldstrafen geahndet werden.
Es sei der Versuch, Kritiker und Andersdenkende einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, sagt Lew Schlosberg, einer der letzten in Freiheit verbliebenen Oppositionspolitiker, der wie Roisman und Jaschin auch bereits Strafe zahlen musste. "Ein administratives Verfahren ist eine gelbe Karte. Und wenn du weiter redest, kriegst du eine rote."
Hunderte Strafverfahren laufen
Knapp 4000 solcher "gelben Karten" hat das Bürgerrechtsportal OVD-Info in den vergangenen sechs Monaten bereits gezählt. Über 200 Strafverfahren wurden eingeleitet, an deren Ende die "rote Karte" droht: Eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren.
Für den Anwalt Wadim Prochorow ist es der Versuch, die wenigen im Land und in Freiheit verbliebenen Oppositionellen, die sich noch kritisch äußern, aus dem Verkehr zu ziehen. Mit Hilfe von Militärzensur: "Sie haben offenbar beschlossen, die letzten Reste der Opposition auf diese Weise endgültig einzubetonieren", sagt er.
"Man muss sich treu bleiben"
Jeder müsse selbst entscheiden, wie er mit der Situation umgehe, sagt Schlosberg. Es gebe kein Patentrezept: "Es ist wichtig, sich selbst treu zu bleiben. Bei sich zu bleiben."
Denn es steht viel auf dem Spiel für diejenigen, die es weiter wagen, öffentlich Kritik am Vorgehen des Kreml zu üben.