Russischer Angriff auf Ukraine Steinmeier will Prozess gegen Putin
"Wütend und traurig": Bundespräsident Steinmeier fordert nach den mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine, dass Russlands Führung der Prozess gemacht wird. In Finnland unterstützte er einen NATO-Beitritt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich angesichts der mutmaßlichen Kriegsverbrechen russischer Soldaten in der Ukraine für einen Prozess gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgesprochen. "Alle, die für diese Verbrechen Verantwortung tragen, werden sich rechtfertigen müssen", sagte er dem "Spiegel". Dazu gehörten neben Soldaten "selbstverständlich auch diejenigen, die politische Verantwortung tragen".
Die Bilder aus Butscha seien furchtbar, er könne sie kaum ertragen, sagt Steinmeier weiter: "Sie verdichten noch einmal, was der verbrecherische Überfall Russlands auf die Ukraine bedeutet, was er an Leid und Tod bringt, auch an Vertreibung. Das macht ungeheuer wütend und traurig."
"Habe auf einen Rest Rationalität von Putin gehofft"
Steinmeier sagte, er sei vom Krieg in der Ukraine überrascht worden. Er sei Zeuge der Veränderung der russischen Politik gewesen, "aber ehrlich gesagt: Ich habe noch auf einen Rest Rationalität von Wladimir Putin gehofft". Er sei nicht davon ausgegangen, "dass der russische Präsident den totalen politischen, wirtschaftlichen, moralischen Ruin seines Landes riskiert in einem imperialen Wahn. Der Überfall erschüttert mich".
Die Grundsätze seiner jahrelangen Russlandpolitik verteidigte der ehemalige Bundesaußenminister aber: "Wir sollten Putin nicht den Gefallen tun, die Verantwortung für seinen Angriffskrieg auf uns zu ziehen", sagte er. Er habe "ein politisches Leben lang" dafür gearbeitet, dass es in Europa keinen Krieg mehr gebe. "Das ist nicht gelungen. Waren deshalb die Ziele falsch? War es falsch, dafür zu arbeiten? Das ist die Debatte, die ich, die wir jetzt führen müssen."
"Das tut weh"
Steinmeier bestritt, eine naive Russlandpolitik betrieben zu haben. Spätestens mit der Krim-Annexion habe sie sich geändert: Er habe die Stärkung der NATO mit vorangetrieben. Auch der Normandie-Prozess sei richtig gewesen. Selbstkritisch bewertete der Bundespräsident erneut seinen Einsatz für Nord Stream 2: "Jetzt ist nicht nur ein milliardenschweres Projekt gescheitert, unser Verhalten hat auch Glaubwürdigkeit gegenüber den osteuropäischen Partnern gekostet. Das tut weh."
Der Bundespräsident erwägt laut eigener Aussage eine baldige Reise in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Seit Kriegsbeginn war noch kein Spitzenpolitiker aus Deutschland dort. Zu den jüngsten Angriffen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk äußerte er sich verständnisvoll, bezweifelte aber, dass man in der gesamten Ukraine sein politisches Erbe sehr kritisch sehe. "Wenn das so wäre, würde es mich sehr traurig machen", sagt er: "Wahrscheinlich hat mich kein anderes Land in meinem politischen Leben so beschäftigt wie die Ukraine."
Steinmeier unterstützt finnische NATO-Mitgliedschaft
Momentan ist Steinmeier zu einem eintägigen Besuch in Finnland. Er sagte dem Land deutsche Unterstützung im Fall eines Antrags auf NATO-Aufnahme zu. Er sagte: "Meine Botschaft, mit der ich komme, ist ganz klar: Wir stehen fest an Finnlands Seite."
Russland sei allein verantwortlich für das Blutvergießen in der Ukraine, und Russland müsse es beenden, sagte Steinmeier weiter. Wie sein finnischer Amtskollege Sauli Niinistö wandte er sich direkt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: "Präsident, stoppen Sie diesen Wahnsinn!" Der russische Angriff auf die Ukraine und die hasserfüllten Drohungen gegen den Westen hätten Finnland "umso mehr wachgerüttelt und alarmiert". Die Krise habe zugleich die Einigkeit und Entschlossenheit von NATO und EU gezeigt, sagte Steinmeier. "Es ist Präsident Putin nicht gelungen, uns zu spalten. Im Gegenteil."
Steinmeier und Niinistö hörten im finnischen Parlament eine Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an. Geplant sind außerdem ein Treffen mit Ministerpräsidentin Sanna Marin und ein Besuch im Europäischen Exzellenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen.
Finnland ist das EU-Land mit der mit Abstand längsten Grenze zu Russland. Es ist kein NATO-Mitglied, wie das benachbarte Schweden aber enger Partner des Bündnisses. Der russische Einmarsch in die Ukraine hat sowohl in Finnland als auch in Schweden zu einer Debatte über einen möglichen Beitritt geführt. Das Land steht nach Einschätzung Niinistös vor einem Mitgliedschaftsantrag. Er rechne mit einer "gewaltigen parlamentarischen Mehrheit", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte Finnland und Schweden ermuntert, die Aufnahme zu beantragen. Er stellte eine zügige positive Antwort in Aussicht.