Entscheidung nach Rückzug Wer folgt in Schottland auf Sturgeon?
Heute wird bekanntgegeben, wer die Nachfolge von Schottlands Regierungschefin Sturgeon antreten wird. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten könnten unterschiedlicher nicht sein - vor allem in Glaubensfragen.
Wer auch immer den Vorsitz der Schottischen Nationalpartei (SNP) übernimmt - dieser Job ist hart. Die Partei verliert an Zustimmung in den Umfragen, es gibt einen bizarren Skandal um Finanzen und Mitgliedszahlen und dann ist da schließlich die Frage der Unabhängigkeit Schottlands.
Seit Jahren ist der Austritt aus dem Vereinigten Königreich der wichtigste Programmpunkt der SNP. Gleichzeitig erlebte die Bewegung deutliche Rückschläge: Das Oberste Gericht in Großbritannien verhinderte nach dem Referendum 2014 ein weiteres, das bereits für den Herbst angesetzt war. Die Umfragewerte für die Unabhängigkeit dümpeln seit Jahren um die 50 Prozent, bleiben uneindeutig. Möglicherweise hat sich die SNP-Führung einfach verrannt.
SNP leidet unter einem Richtungsstreit
Es ist eine schwierige Situation, in der die Parteimitglieder einen neuen Vorsitzenden oder eine neue Vorsitzende bestimmen sollen. An der Spitze der Partei und der Regionalregierung geht eine Frau, die fast ein Jahrzehnt Vorsitzende und "First Minister" war. So heißt der Posten, der vergleichbar ist mit dem Amt einer deutschen Ministerpräsidentin.
Nicola Sturgeon prägte die SNP, führte sie zum Erfolg, war eine Konstante in der Politik des Vereinigten Königreichs. Nach ihrem Rücktritt wird deutlich: Es gibt Risse in der Partei, die Frage der Unabhängigkeit muss neu definiert werden und es gibt einen Richtungsstreit, den der Nachfolger oder die Nachfolgerin überwinden muss.
Derzeitiger Gesundheitsminister als Favorit
Als aussichtsreicher Kandidat gilt Humza Yousaf. Er ist derzeit Gesundheitsminister, hat langjährige Regierungserfahrungen - unter anderem als Transport- und Justizminister in Schottland.
Yousaf ist praktizierender Muslim, betont in Interviews immer wieder, dass er für die gleichgeschlechtliche Ehe eintritt, also für eine liberale Sozialpolitik. Der 37-Jährige stammt wie Sturgeon aus Glasgow und gilt als Wunschkandidat der scheidenden Ministerpräsidentin. Er wäre der Parteivorsitzende der Kontinuität.
Gegen ihn tritt an - mit vielversprechenden Aussichten - Kate Forbes. Die Finanzministerin ist 32 Jahre alt und kritisierte den Gesundheitsminister Yousaf für eine eher durchwachsene Bilanz seiner Arbeit. Im Gesundheitsdienst NHS sind die Wartezeiten länger und die Defizite größer geworden.
Die Konkurrentin gehört einer Freikirche an
In den vergangenen Wochen wurde Forbes vor allem befragt zu familien- und sozialpolitischen Themen. Forbes gehört der Freikirche "Free Church of Scotland" an. Sie lehnt gleichgeschlechtliche Ehen ab, spricht sich gegen Abtreibungen aus und kritisiert vorehelichen Geschlechtsverkehr.
Persönliche Ansichten sind das eine, Politik das andere. Der ehemalige Fraktionschef der SNP im Unterhaus in London, Ian Blackford, gehört der gleichen Kirchengemeinschaft an, stimmte aber im Unterhaus für ein Abtreibungsgesetz und die gleichgeschlechtliche Ehe - was ihm Kritik aus der Gemeinde bescherte.
Streitpunkt gleichgeschlechtliche Ehe
Anders bei Forbes: In einem Interview sagte die Politikerin, sie hätte nicht für die gleichgeschlechtliche Ehe gestimmt, wäre sie damals, als die Abstimmung im Regionalparlament stattfand, schon Abgeordnete gewesen. Deswegen diskutiert die Partei: Kann Forbes Parteichefin werden und "First Minister"?
Forbes wehrte sich in dieser Debatte mit dem Einwand: Einem Mann jüdischen Glaubens oder einem Muslim würden diese Fragen nicht gestellt. Was so nicht stimmt. Humza Yousaf sagte in einem Interview mit dem Sender LBC, er sei für die gleichgeschlechtliche Ehe. Außerdem kündigte er an, im Ramadan zu fasten.
Frage der Unabhängigkeit Schottlands bleibt offen
Die Auseinandersetzung spiegelt auch den Richtungsstreit in der Partei wider. Sturgeon führte die Partei von einer konservativen Alternative zu den Tories hin zu einer gesellschaftlich liberalen Partei mit sozialdemokratischer Handschrift.
Völlig offen ist auch, wie es weitergeht mit dem großen Ziel der Unabhängigkeit. Sturgeon wollte ein zweites Referendum durchsetzen, doch das Oberste Gericht blockierte die Pläne. Sturgeon versprach, die nächsten Unterhauswahlen als Quasi-Referendum anzusetzen, was viele kritisierten. Außerdem sind die Umfragewerte weiterhin nicht eindeutig. Die Unabhängigkeitspolitik der SNP braucht neue Argumente und neuen Schwung. Eine kniffelige Aufgabe für den neuen Parteichef oder die neue Parteichefin.