Ukrainer an einer Gedenkstätte für gefallenen Soldaten in Kiew

Nach Eklat im Weißen Haus Die Ukraine versammelt sich hinter Selenskyj

Stand: 01.03.2025 18:43 Uhr

Der offene Streit im Weißen Haus zwischen den Präsidenten Trump und Selenskyj wird in der Ukraine mit Fassungslosigkeit und Entsetzen aufgenommen. Das Land versammelt sich jetzt hinter seinem Präsidenten.

Von Peter Sawicki, DLF

Fassungslosigkeit, Empörung, Unbehagen - diese Gemütszustände dominieren in der Ukraine auch am Tag nach dem beispiellosen Eklat im Weißen Haus. Das Wortgefecht vor laufenden Kameras zwischen US-Präsident Donald Trump und dessen Vize JD Vance auf der einen sowie Präsident Wolodymyr Selenskyj auf der anderen Seite haben viele Menschen im Land als Attacke gegen die Ukraine an sich aufgefasst.

Birgit Virnich, ARD Kiew, über entsetzte Reaktionen in der Ukraine

tagesthemen, 01.03.2025 23:40 Uhr

Trump und Vance gehe es darum, Selenskyj loszuwerden sowie die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen, schrieb beispielsweise der Journalist Ilia Ponomarenko. Dass die Eskalation in Washington gezielt herbeigeführt worden sei, ist eine vielfach geteilte Meinung in der Ukraine. Ähnlich äußerte sich in einem Interview der frühere Verteidigungsminister Andriy Sahorodniuk - und er nahm Selenskyj in Schutz: "Man kann kaum sagen, ob er anders hätte reagieren sollen. Angesichts der Situation nach drei Jahren Krieg, des Stresses, dem er ausgesetzt ist. Was wir dafür auch gesehen haben, waren provokative Aussagen von JD Vance."

Vorgang ohne Beispiel

Nicht Selenskyj habe, so wie es Trump und Vance behaupteten, einen Mangel an Respekt gezeigt - vielmehr hätten dies die beiden US-Politiker getan, schrieb die Zeitung Kyiv Independent in einem Leitartikel. Der Präsident eines Landes, das Opfer der größten Invasion des 21. Jahrhunderts geworden sei, sei aus dem Weißen Haus geschmissen worden. Das sei ohne Beispiel, hieß es im Text weiter.

Oleksij Honcharenko, Politiker der oppositionellen Partei Europäische Solidarität, sprach von einer Katastrophe. Doch er kritisierte Selenskyj dafür, dass dieser sich auf einen Streit mit Trump und Vance eingelassen hatte: "Als ukrainischer Bürger sage ich - ungeachtet von politischen Differenzen sollte Selenskyj nicht öffentlich streiten. Ich erwarte, dass er deutlich diplomatischer auftritt, dass er Ruhe ausstrahlt. Das ist eine ernsthafte Angelegenheit."

Ende der US-Hilfen befürchtet

Derartige kritische Stimmen sind in der Ukraine gleichwohl in der Minderheit. Gleichzeitig ist die Sorge zu vernehmen, dass nicht nur das eigentlich angestrebte Rohstoffabkommen in weite Ferne gerückt sei. Der Militärexperte Oleksij Hetman spekulierte im Sender NV Radio auch über ein Ende der Militärhilfe durch die USA: "Das wäre eine sehr schlechte Nachricht. Es wäre schwierig für uns an der Front, weil vieles vor allem dank der US-Hilfe möglich ist - etwa Aufklärung, Waffen, Raketen. Wenn das wegfällt, wird die Situation an der Front sehr schwierig sein, und es ist schwer vorstellbar, wohin es führen könnte."

In dieser Situation müsse Europa nun noch einmal stärker in die Bresche springen, so ein Tenor in der Ukraine. Experte Oleksij Hetman zeigte sich dahingehend optimistisch, dass es dazu kommen werde: "Solche Aussagen haben uns mit Europa noch stärker vereint. Es ist schon eigenartig: Putin hat unsere Bürger mit seinem Angriff geeint, Trump hat Europa mit seinen ähnlichen Aktionen näher zusammenrücken lassen."

Peter Sawicki, ARD Kiew, tagesschau, 01.03.2025 15:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. März 2025 um 20:00 Uhr.