Geflüchtete Roma in Tschechien Bedingt willkommen
Mehr als 200.000 Flüchtlinge aus der Ukraine sind bislang in Tschechien untergekommen. Doch mit einer Flüchtlingsgruppe weiß sich Tschechien keinen Rat: Roma. Hunderte sind am Prager Bahnhof gestrandet.
Es muss alles ganz schnell gehen um 21:45 Uhr am Gleis 1 des Prager Hauptbahnhofs: Kinderwagen werden in den Personenzug gehoben, dicht drängen sich Frauen mit ihren Kindern vor den Zugtüren, sie alle wollen für ihre Familie ein Abteil für sich bekommen.
Allabendlich stellt die tschechische Bahn diesen Zug als provisorisches Nachtlager zur Verfügung. Wer es nicht schafft, für den bleibt nur ein Platz auf den Steinfliesen in der zugigen Bahnhofshalle.
Ungeahnte Hilfsbereitschaft
In Tschechien wurden die Flüchtlinge aus der Ukraine bislang mit offenen Armen und offenen Türen empfangen. Geflüchtete kamen in Hotels und öffentlichen Notunterkünften unter, viele Tschechen nahmen Ukrainer auch in der eigenen Wohnung auf.
Das Land war stolz auf sich, auf eine bislang in Tschechien so nicht gekannte Hilfsbereitschaft für Menschen auf der Flucht. 7000 ukrainische Flüchtlinge wurden so zu Beginn des Kriegs täglich durch die Erstaufnahmestelle am Prager Hauptbahnhof geschleust - reibungslos.
Die Halle im Prager Hauptbahnhof war ursprünglich als Infozentrum gedacht - nun beherbergt sie Roma-Flüchtlinge, die nicht wissen, wohin.
Kontaktzentrum wird zum Flüchtlingslager
Nun aber ist das Kontaktzentrum unversehens zu einem Flüchtlingslager geworden, das für die Behörden ein Problem zu sein scheint: Rund 500 Roma campieren hier seit Tagen unter völlig unzureichenden Bedingungen.
In der prächtigen Jugendstilhalle des Bahnhofs ziehen Reisende ihre Rollkoffer im Zickzack vorbei an den spielenden Roma-Kindern. Staat und Stadt schieben sich gegenseitig die Schuld zu, Hilfsorganisationen müssen vor Ort das Versagen der öffentlichen Stellen ausbaden.
Die Vorbehalte sind nicht verschwunden
Von offizieller Seite werde man immer hören, dass alle Flüchtlinge gleich behandelt werden, sagt ein Helfer am Hauptbahnhof. Aber es gebe in der tschechischen Gesellschaft einfach große Vorbehalte gegen Roma, auch in den Behörden.
Hilfe für Roma - ein heikles Thema in der tschechischen Politik. Ein Problem, das man am liebsten loswerden würde. Zum Beispiel nach Ungarn.
Dort hatte die Regierung Orban in den vergangenen Jahren versucht, mit großzügiger Vergabe von Pässen die ungarische Minderheit in der Westukraine zu stärken. Auch einige ukrainische Roma haben daher die ungarische Staatsbürgerschaft - und somit als EU-Bürger keinen Anspruch auf tschechische Flüchtlingshilfe.
Während Doppelstaatsbürgerschaften in der ersten Welle praktisch nicht kontrolliert wurde, geben sich die Behörden nun große Mühe, solche Fälle aufzuspüren. Das Verfahren dauert Tage; erst dann können die Flüchtlinge einen vorübergehenden Schutzstatus erlangen. Bis dahin sind sie gestrandet am Hauptbahnhof.
Es mangelt an Betten
Eine am Wochenende eröffnete Zeltstadt am Prager Stadtrand soll die Lage am Bahnhof entspannen. Doch es gibt immer noch zu wenige Betten, und die Frage nach dem Wohin bleibt trotzdem offen.
Zumeist kämen die Roma in großen Familien, sagt Martin Rozumek, Leiter der Prager Flüchtlingshilfe-Organisation OPU, nicht selten mit 20 oder 30 Personen.
Für solche Gruppen gebe es kaum angemessene Unterkünfte und landesweit auch keine Bereitschaft, solche Gruppen aufzunehmen. Oft würden sie deshalb abgeschoben etwa in Internierungslager, die für illegale Migranten gedacht sind.
Roma-Flüchtlinge - gestrandet am Prager Hauptbahnhof.
Die Arme zu weit geöffnet?
Unterdessen diskutiert die Politik, ob Tschechien nicht vielleicht die Arme zu weit geöffnet hat. Umgerechnet 200 Euro erhält jeder Flüchtling aus der Ukraine monatlich als staatliche Unterstützung.
Viele Roma kämen derzeit aus der Westukraine, die vom Krieg kaum betroffen sei, sagt Rozumek. Während sie daheim oft tief unter der Armutsgrenze leben, könne eine 20-köpfige Familie in Tschechien 4000 Euro im Monat erhalten - eine Summe, die bisher für sie völlig unerreichbar gewesen sei.
Ein Exodus von mehreren zehntausend ukrainischen Roma gen Westen sei daher durchaus möglich, meint der Leiter der Flüchtlingshilfeorganisation OPU.
Während Tschechien überlegt, die finanzielle Hilfe auf Sachleistungen umzustellen, schicken resignierte Helfer auf dem Hauptbahnhof Roma inzwischen weiter Richtung Westen, damit sie nicht allnächtlich um 21:45 Uhr erneut auf dem Abstellgleis landen.