Besetztes Cherson "Es ist lebensgefährlich, die Stadt zu verlassen"
Die südukrainische Stadt Cherson ist von der russischen Armee besetzt. Wer dort ist, sitzt fest. Auch der Wahlhamburger Dimitri Popov. In den tagesthemen schildert er, wie es sich derzeit in Cherson lebt.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat Russland mehrere Städte besetzt, darunter auch Cherson im Süden der Ukraine. Die Stadt liegt in der Nähe des Schwarzen Meeres, nordwestlich der Krim und hat rund 300.000 Einwohner.
Dimitri Popov, der normalerweise in Hamburg lebt, ist seit Februar in Cherson, um dort zu arbeiten und seine Eltern zu besuchen. Im tagesthemen-Interview schildert er das Leben unter russischer Besatzung. In der Stadt könne man sich zwar bewegen. Sie zu verlassen, sei aber schwer, wegen der Kontrollposten. "Die Stadt steht leer", so Popov. "Zwar fahren einige Autos, Menschen bewegen sich, aber im Vergleich zum normalen Leben ist es wie leergefegt. Nur im Zentrum sind Menschen - für Demonstrationen."
Proteste gegen russische Besatzer
Die Proteste gegen die russische Besatzung hätten "eine reinigende Kraft", sagt Popov. "Sonst kann man nur zu Hause sitzen und nichts tun, nur Nachrichten lesen, wo bombardiert wird, wer stirbt. Man fühlt Machtlosigkeit. Wenn man dann an Demonstrationen teilnimmt, das gibt einem ein sehr gutes Gefühl."
Am Samstag hätten russische Soldaten einen Demonstranten aus der Menge ziehen wollen, diese hätte aber reagiert und sich eingesetzt. "Die Besatzer mussten in die Luft schießen, um die Massen zu blocken und haben sich nach einiger Zeit zurückgezogen", schildert Popov.
Stadt zu verlassen ist lebensgefährlich
Am gleichen Tag habe es dann einen Wechsel bei den Besatzern gegeben: "Davor hatten wir die reguläre Armee, die war in der Stadt stationiert und jetzt am Samstag kam eine Spezialeinheit, die eigentlich in Russland für die Zerschlagung von Unruhen eingesetzt wird." Er glaube, bald wird es unmöglich sein, gegen die Besatzer friedlich und ohne Verletzte zu demonstrieren. Pro-russische Demonstrationen, wie sie im russischen Fernsehen gezeigt werden, seien reine Propagandabilder. Er habe solche Demonstrationen nirgendwo gesehen.
Popov sitzt momentan fest. "Es ist lebensgefährlich, die Stadt zu verlassen", erklärt er. Die Straßen hinaus führen unter anderem in die Nachbarstadt Mykolajiw, "dort wird geschossen und es gibt Raketenagriffe". Er werde erst einmal bleiben, wo er ist. Er sei ständig in Kontakt mit seiner Familie in Hamburg, mit seinen Kindern und seiner Frau. "Die wissen jeden Tag, dass ich ok und am Leben bin", so Popov. Er fühle sich "machtlos, wütend - ein ständiger Wechsel von Gefühlen". Und er hofft, dass "die Kriegsverbrechen, die jetzt in der Ukraine passieren, nicht ungesehen bleiben und dass Russland auch dafür bestraft wird".