Mobilisierungsgesetz in der Ukraine "Sie haben Angst, der Ersatz zu sein"
Der ukrainischen Armee fehlen Soldaten. Das Mobilisierungsgesetz, das helfen soll, ist nun in Kraft getreten. Zunächst soll besser erfasst werden, wer überhaupt wehrfähig ist. Doch schon das könnte schwierig werden.
"Nein" - antworten viele Männer in einer Straßenumfrage ukrainischer Medien auf die Frage, ob sie vorhätten, ihre Anschrift und ihre persönlichen Daten bei den Einberufungsbehörden zu erneuern. Er verstehe schon, sagt ein Mann, dass das "nicht richtig" sei. Warum er seine Daten nicht erneuern will, sagt er der Reporterin aber nicht.
Heute ist in der Ukraine ein neues Mobilisierungsgesetz in Kraft getreten. Hunderttausende Soldaten sollen damit in die Armee eingezogen werden.
Aber das Gesetz sorge für Unruhe in der ukrainischen Bevölkerung, erklärt Julia Zasoba, die Wehrpflichtige rechtlich berät. Im Zusammenhang mit diesem Gesetz habe sich sehr viel verändert, "auch die Stimmung in der Gesellschaft". Derzeit kämen 100 bis 200 Anrufe pro Tag. "Frage Nummer Eins, die die Leute interessiert, ist tatsächlich die Aktualisierung der Daten, weil den Menschen klar ist, dass das nun in ihrer Verantwortung liegt."
Mit Angst und Scham behaftet
Offen äußern wollen sich zum neuen Mobilisierungsgesetz aber nur wenige. Das Thema ist in der Ukraine mit Angst und Scham behaftet. Er mache sich keine Sorgen, sagt ein Mann, der anonym bleiben will, denn er helfe schließlich der Armee als Freiwilliger, sei gerade erst aus Charkiw zurückgekehrt.
"Ich denke, diejenigen, die kämpfen wollen, sind schon an der Front. Und diejenigen, die hier sind - was sollen sie schon machen?", sagt er. "Ich würde diejenigen ausreisen lassen, die nicht kämpfen wollen. Denn wir Freiwilligen dürfen ins Ausland und kommen auch zurück. Aber manche sind eben moralisch nicht in der Lage zu kämpfen. Sie helfen, so gut sie können."
Viele wohnen nicht da, wo sie gemeldet sind
Die Ukraine befindet sich gerade in der wohl schwierigsten Lage seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Neben akutem Munitionsmangel leidet die ukrainische Armee auch unter zu wenig Personal. Viele Soldaten sind seit zwei Jahren nahezu pausenlos im Einsatz.
Angesichts der aktuellen Lage, "des Mangels an Ressourcen, der Tatsache, dass Soldaten sterben, vermisst werden, in Gefangenschaft geraten oder verwundet werden und ersetzt werden müssen" bekämen die Leute Angst, sagt Zasoba. "Sie haben Angst, der Ersatz zu sein."
Nach dem neuen Mobilisierungsgesetz müssen Wehrpflichtige innerhalb von 60 Tagen ihre Meldeadressen und andere Daten gegenüber den Behörden aktualisieren. Denn die Ukraine hat ein Problem: Oft wissen die Behörden nicht, wo sich Wehrpflichtige aufhalten. Viele Menschen wohnen seit Jahren nicht mehr an dem Ort, an dem sie auch offiziell gemeldet sind. Der Krieg und die damit einhergehende Flucht und Vertreibung haben das Problem zusätzlich verschärft.
Misstrauen gegenüber den Behörden
Aber viele Menschen misstrauen auch den Behörden, wie dieser Mann gegenüber ukrainischen Medien sagt: "Alles wurde nur mit Bleistift eingetragen. Jede Krankheit, die den Behörden nicht passt, ist mit Bleistift eingetragen." Das sei traurig und korrupt - und respektlos, sagt er. "Dann möchte man seine Daten auch nicht aktualisieren, nicht zu den Behörden gehen."
Wie sich das neue Gesetz tatsächlich im Alltag ukrainischer Männer auswirken wird, kann heute kaum jemand sagen. Fest steht nur: Die ukrainische Armee benötigt neue Rekruten und nur noch wenige Menschen sind bereit, sich freiwillig für den Dienst in der Armee zu melden.