Führung in Kiew Streit über Annahme von russischen Pässen
Der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte hat seinen Landsleuten geraten, in den besetzten Gebieten notfalls russische Pässe anzunehmen. Dem widerspricht die Vizeregierungschefin in Kiew: Ukrainer dürften nicht mit den Besatzern kooperieren.
Die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk hat dem Rat des Menschenrechtsbeauftragten Dmytro Lubinez widersprochen, dass Ukrainer in den besetzten Gebieten notfalls russische Pässe annehmen sollen. "Wer hat gesagt, dass die Russen lange in den temporär besetzten Gebieten sein werden?", schrieb Wereschtschuk bei Telegram. Es sei ihrer Meinung nach unmöglich, aus Ukrainern Russen zu machen.
"Nicht mit Besatzern kooperieren"
Abschiebungen von Ukrainern aus den russisch kontrollierten Gebieten seien aufgrund fehlender "humanitärer Korridore" ebenso unmöglich. Die 43-Jährige forderte Moskau und das Internationale Rote Kreuz auf, eine geregelte Ausreise in das ukrainisch kontrollierte Gebiet zu ermöglichen. Darüber hinaus blieben die Empfehlungen der Ministerin für die Menschen in den besetzten Gebieten bestehen. "Keine russischen Pässe annehmen, nicht mit den Besatzern kooperieren, wenn möglich ausreisen, auf die ukrainischen Streitkräfte warten", zählte Wereschtschuk auf.
"Überleben, das ist die Hauptsache"
Zuvor hatte Lubinez seinen Landsleuten geraten, in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine notfalls die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. "Überleben, das ist die Hauptsache", sagte er laut Berichten örtliche Medien. Die Regierung würde darauf verständnisvoll reagieren, da die Einbürgerungen unter Druck stattfänden.
Lubinez sprach sich "kategorisch" gegen eine strafrechtliche Verfolgung von Ukrainern aus, die die russische Staatsbürgerschaft zum "Überleben" angenommen hätten. Ausgenommen von der Straffreiheit seien jedoch die Organisatoren des Einbürgerungsprozesses, die als "Kollaborateure" gerichtet würden.
Ukrainer gelten bald als Ausländer
Vor einigen Tagen hatte der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret unterzeichnet, gemäß dem Ukrainer in den vom Kreml im vergangenen Oktober formell annektierten Gebieten ab 1. Juli 2024 als Ausländer gelten. Ohne Aufenthaltstitel droht Ukrainern wie anderen Ausländern dann die Abschiebung.
Russland kontrolliert nach seinem Einmarsch vor über 14 Monaten einschließlich der bereits 2014 völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim beinahe ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Rückeroberung aller Gebiete bis Ende des Jahres anvisiert. Im Mai wird dazu der Beginn einer lang angekündigten ukrainischen Gegenoffensive erwartet.