Slowenien und Ungarn Ein EU-Musterschüler und ein schwarzes Schaf?
In Slowenien sind sich zwanzig Jahre nach dem EU-Beitritt fast alle einig: Die Entscheidung war richtig. Ungarns Regierungschef Orban ist hingegen ein Kritiker - doch die Mehrheit im Land ist pro-europäisch.
Es begann mit der Europahymne, der "Ode an die Freude" - vor zwanzig Jahren endlich auch für das kleine Slowenien und den deutlich größeren Nachbarn Ungarn. Seitdem ist viel Zeit vergangen.
Zum Jahrestag hängen langsam die ersten Plakate für die Europawahl. In Slowenien sind sich Regierung und Opposition weitgehend einig: Die EU ist die beste Lösung für Slowenien.
In Ungarn klebt Viktor Orbans regierende Fidesz-Partei ein Schmähplakat: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sitzt mit grimmigem Blick auf einem Thronsessel, neben ihr die wichtigsten Köpfe der politischen Konkurrenz im Kellnerkostüm, Überschrift: "Unterwürfige Diener Brüssels". Auf ihren Serviertellern die Worte "Migration", "Gender", "Krieg". Es ist viel passiert in den vergangenen zwanzig Jahren.
Das "Musterländle" Slowenien
"Dear Robert", so begrüßt von der Leyen Anfang August 2023 den slowenischen Ministerpräsidenten Robert Golob. Aber in dem Fall klingt es herzlich und ernst gemeint. Die Botschaft, die sie mitgebracht hat: "Europa steht an der Seite der Freunde in Slowenien. Slowenien kann auf Europa zählen."
Das war bitter nötig, es war die Woche nach dem großen Regen. Die Schäden im Sommer 2023 waren enorm. Die erste Hilfe aus Brüssel kam sofort und unbürokratisch: 400 Millionen Euro aus dem EU-Krisenfonds. Danach gab es noch deutlich mehr, nach einem gemeinsamen Plan für den Wiederaufbau: Brücken, Straßen, Hochwasserschutz - und vieles mehr.
Ortstermine nur vier Wochen später: Das Gröbste ist abgeräumt, Behelfsbrücken verbinden wieder durch die Flut abgeschnittene Landesteile. Die überschwemmte Autoteilefirma, Volkswagen ist ihr größter Kunde, fangt wieder an zu arbeiten, aus eigener Kraft, mit Hilfe slowenischer Gelder, mit Unterstützung des Volkswagen-Konzerns - und wenn nötig mit EU-Geldern.
Die inzwischen mehr als zwei Millionen Sloweninnen und Slowenen gelten als die "Schwaben Südosteuropas". Ein europäisches "Musterländle".
83 Prozent überzeugt von der EU-Mitgliedschaft
Mehr 13 Milliarden Euro hat Slowenien seit dem Beitritt aus EU-Fonds überwiesen bekommen, Entwicklungshilfe für Infrastruktur vor allem. Fast neun Milliarden flossen in derselben Zeit zurück in die Brüsseler Kassen, Tendenz langsam steigend. Das europäische Prinzip: nehmen und geben.
Knapp 90 Prozent haben 2003 für "Europa jetzt" gestimmt, also den Beitritt Sloweniens zur EU. Immer noch 83 Prozent sind heute - 20 Jahre später - davon überzeugt, dass Slowenien von der EU-Mitgliedschaft vor allem profitiert hat.
Die Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) bestätigen das: Der Wohlstand in Slowenien ist spürbar gewachsen. Slowenien gilt als stabile Wirtschaft, schon drei Jahre nach dem Beitritt wurde der Euro Landeswährung in Slowenien.
Störenfried Ungarn
In Ungarn zahlen sie immer noch mit Forint. Auch ein Problem, denn die ungarische Währung hat gegenüber dem Euro rasant an Wert verloren, und der sinkt weiter. 83 Milliarden Euro EU-Gelder sind seit dem EU-Beitritt in Ungarns Kassen geflossen, auch dort vor allem in Infrastruktur - und in die Landwirtschaft.
Weitere Milliarden sind im Moment aber eingefroren, wegen Rechtstaatsbedenken, wegen gravierender Demokratiedefizite. Geld, das Ungarn gut gebrauchen könnte. Das Wohlstandgefälle gegenüber dem Nachbarn Slowenien ist nicht nur in der IWF-Statistik deutlich sichtbar.
Ungarn ist eine Insel der Widerspenstigen in Europa. So sieht das der bereits 18 Jahre lang regierende Ministerpräsident Orban. 18 Jahre, kurz vor und nach dem Beitritt, mit einer Unterbrechung. 18 Jahre, in denen Orban Ungarn umgebaut hat, wegentwickelt von dem, was die meisten anderen als europäische Werte hochhalten: Demokratie und Rechtsstaat.
"Ungarn tickt anders"
Stolz schart der Populist Orban im Jahr 20 nach dem Beitritt zur Europäischen Union die Feinde der Demokratie um sich. Viele, wie Orban selbst, Fans des letzten US-Präsidenten Donald Trump. "Tschüss Brüssel, es lebe Europa", so verkauft Orban seine Idee einer Europäischen Union. Zu Hause, in Ungarn, nennt er es "illiberale Demokratie", die "in Brüssel" können darin wenig Demokratisches erkennen. Damit - und mit Hilfe eines zurechtgebogenen Wahlrechts - konnte er sich bisher seine Mehrheiten sichern.
Ungarn tickt anders, patriotischer, sagt eine, die mit einstimmte in die Sprechchöre vor dem ungarischen Parlament: "Ungarn, Ungarn". Eine Viertelmillion Menschen hat sich mitten im Budapester Frühling auf dem Platz vor dem ungarischen Parlament versammelt, unter einem Meer von ungarischen Flaggen. Fast wie damals, als Orban der Volksheld der Ungarn war. Damals ging es gegen die russischen Besatzer, für den freien Westen, also für Europa. Lange her.
Mindestens 70 Prozent pro-europäisch eingestellt
Die Zeiten haben sich geändert. Die Sprechchöre der vergangenen Wochen klingen anders: "Orban verschwinde!" und "Dreckige Fidesz!" Gemeint ist die Regierungspartei Orbans. Der Jubel gilt dem im Moment neuen Volkshelden, Péter Magyar, einem Fidesz-Aussteiger, den das "System Orban" so ernst nimmt, dass es der vor kurzem noch eher Unbekannte schon auf das Fidesz-Wahlplakat als "unterwürfiger Diener Brüssels" geschafft hat. Obwohl er diesen Eindruck sicher nicht macht.
Wieder mehr Europa scheint aber die Hoffnung vieler zu sein. Denn, egal wie laut Orban gegen Brüssel wettert, die Mehrheit der pro-europäisch eingestellten Ungarinnen und Ungarn ist stabil: 70 Prozent plus X, so die Umfragen. Ein "Huxit" also sicher kein Thema, ein Austritt, 20 Jahre nach dem EU-Eintritt.