Zwei Jahre Krieg gegen die Ukraine Ein Schatten über dem Leben der Menschen
Vor zwei Jahren begann der Krieg, der die Ukraine verändert hat: Zehntausende starben, Millionen sind auf der Flucht. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist groß, doch Erschöpfung und Misstrauen wachsen.
Die Journalisten im Hotel "Kramatorsk" werden von zwei lauten Explosionen geweckt. Es ist der 24. Februar 2022. Hektik bricht aus. Fernsehteams bauen ihre Stative und hellen Lampen auf der Terrasse vor dem Eingang auf, Reporter in Helm und Schutzweste rufen aufgeregte Worte in die Kameras. Der russische Angriffskrieg hat begonnen.
Im Hintergrund rollt langsam ein Bus. Menschen fahren zur Arbeit.
Es sollte einige Stunden dauern, bis sich die ersten Schlangen an Geldautomaten bildeten. Bis das Ausmaß des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine allen Menschen im Land bewusst wurde.
Mehr als vier Millionen Geflüchtete in der EU
Zwei Jahre später hängt das Funktionieren des ukrainischen Staates von ausländischer Finanzhilfe ab. Fast fünf Millionen Menschen sind nach ukrainischen Angaben innerhalb des Landes auf der Flucht, mehr als vier Millionen sollen sich in den Ländern der Europäischen Union aufhalten.
Wie viele Soldaten ihr Leben verloren haben, gibt die Ukraine offiziell nicht bekannt. Laut amerikanischen Schätzungen sollen es etwa 70.000 sein.
Nach der gescheiterten Sommeroffensive der ukrainischen Streitkräfte sind die Menschen erschöpft. Die einen hoffen auf die Rückkehr des Vaters aus der Kriegsgefangenschaft. Andere auf die Rückkehr des Bruders von der Front. Eltern suchen ihre nach Russland verschleppten Kinder. Sie alle hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges, das vermutlich in weiter Ferne liegt.
Verminte Felder, blockierte Häfen
Die Ukraine ist ein großes Land. Groß genug, um auch den jahrelang im Osten der Ukraine schwelenden Krieg aus der eigenen Lebensrealität verdrängen zu können - zumindest für einige Zeit. "Der Krieg musste erst zu uns kommen, damit wir verstanden haben, was die Menschen im Donbass durchgemacht haben", sagt ein ehemaliger Bauer im südukrainischen Mykolajiw. Es ist Sommer 2022. Die russischen Truppen haben seinen Hof und sein Gerät zerschossen. Der Bauer ist in die Armee gegangen.
Die Felder im Süden der Ukraine sind vermint, die ukrainischen Häfen weitestgehend von Russland blockiert. Dass über das Schwarze Meer heute wieder Getreide exportiert werden kann, ist einer der wenigen Lichtblicke für die Ukraine. Ohne über eine nennenswerte Militärmacht auf See zu verfügen, gelang es der Ukraine, die russische Schwarzmeerflotte zurückzudrängen. Mindestens 20 zerstörte russische Schiffe und U-Boote zählt die Website Oryx.
Hunderte Kulturgüter zerstört
Der Krieg legt sich wie ein Schatten über das Leben der Menschen, auch Hunderte Kilometer von der Front entfernt. Er hat die Ukraine für immer verändert. In den Jahren zuvor habe es Raum für Kompromisse gegeben, sagt Anastasia Pawlenko, Sprecherin des "Lessia Ukrajinka"-Theaters in Kiew. "Aber seit dem 24. Februar 2022 gibt es diesen Raum nicht mehr."
Die Kulturlandschaft in der Ukraine wird durch den Krieg genauso bedroht wie bestärkt. Nach ukrainischen Angaben wurden Hunderte Kulturgüter durch russische Angriffe zerstört. Vor ihrem Abzug im Herbst 2022 raubten die russischen Soldaten das Kunstmuseum in Cherson aus. Museen und Bibliotheken bangen um ihre Sammlungen.
Gleichzeitig blüht die ukrainische Kultur auf. Das renommierte "Lessia Ukrajinka"-Theater legte seine Bezeichnung "Theater des russischen Dramas" ab und verbannte die russische Sprache von seinen Bühnen. Aus den Radios dudeln ukrainische Pop- und Rap-Songs, in den Bars machen Stand-up-Komiker heute Witze auf Ukrainisch.
"Es geht ein Riss durch die Gesellschaft"
Der Krieg mache gute Menschen besser und schlechte Menschen schlechter, heißt es in diesen Tagen häufig in der Ukraine. Der russische Angriffskrieg hat in den vergangenen zwei Jahren Fremde zu Freunden und Freunde zu Fremden gemacht. In den Schützengräben beschreiben Soldaten ein Zusammengehörigkeitsgefühl ähnlich dem einer Familie. Viele sind bereit für Kameraden zu sterben, die sie erst seit wenigen Wochen kennen.
In den von Russland besetzten Gebieten aber breitet sich Misstrauen aus. Nicht selten sind es Mitarbeiter der ukrainischen Polizei und des Geheimdienstes gewesen, die zu den russischen Besatzern übergelaufen sind. Während kritische Bürgerinnen und Bürger in den Folterkellern der Russen verschwanden, waren es oftmals ihre Nachbarn, die sie für ein wenig Geld oder humanitäre Hilfe verraten hatten. Heute verfolgt die Ukraine in den wieder befreiten Gebieten Kollaborateure, Hunderte Strafverfahren wegen Hochverrat wurden eingeleitet.
"Es geht ein Riss durch die Gesellschaft", sagt ein Lokaljournalist aus Isjum. Die Stadt in der Region Charkiw war ein halbes Jahr unter russischer Besatzung. Unverstanden fühlen sich viele, die während der Besatzung ausharrten und heute von Rückkehrern verdächtig werden, mit den russischen Truppen zusammengearbeitet zu haben.
"Viele Kollaborateure laufen frei auf der Straße herum", sagt der Lokaljournalist. Und auch der Bürgermeister der Stadt gibt an, er könne der Bevölkerung nicht vertrauen. Bürgermeister Martschenko floh vor den russischen Truppen und gilt vielen, die blieben, deswegen als Verräter. Es brauche Zeit, um das Vertrauen untereinander wiederherzustellen, sagt er.
"Wie viele sollen noch sterben - und für was?"
Trotz gescheiterter Sommeroffensive glaubt laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor an den Sieg der ukrainischen Truppen. Hanna Bondar aber will ihren Mann zurück. Seit zwei Jahren ist er pausenlos an der Front im Einsatz. "Wie viele sollen noch sterben - und für was?", fragt sie. "Auf diesen verminten Gebieten kann doch für Jahrzehnte niemand leben."
Nach zwei Jahren Krieg sind die Menschen in der Ukraine erschöpft. Brutale Kämpfe um militärisch unbedeutende Städte wie Marjinka, Bachmut oder Awdijiwka haben Tausenden Russen und Ukrainern das Leben gekostet.
Der russische Machthaber Wladimir Putin aber betont, er habe sein Kriegsziel noch nicht erreicht.