Regierungsbildung in Griechenland Hoffen auf ein politisches Wunder in Athen
Das Warten auf ein politisches Wunder in Griechenland geht weiter. Eine Koalition, eine Regierung ist nicht in Sicht. Heute wollen die Parteien noch einmal verhandeln. Die Bürger hingegen wollen möglichst bald eine handlungsfähige Regierung - ohne Neuwahlen. Doch die zu vermeiden, scheint in der jetzigen Situation schwierig.
Von Reinhard Baumgarten, ARD-Hörfunkstudio Istanbul
Griechenland, so titelt die Tageszeitung "Ta Nea" heute, fährt mit Vollgas am Abgrund entlang in Richtung Neuwahl. Nur durch ein politisches Wunder, so scheint es, könnte noch eine Regierung in Athen zustande kommen. Nach fruchtlosen Gesprächen mit den größeren im Parlament vertretenen Parteien am Vormittag hat Präsident Karolos Papoulias gestern Abend mit den Chefs der kleineren Parteien gesprochen.
Die kleinen Parteien wollen kein Sparprogramm
Das 82-jährige Staatsoberhaupt versucht auf Biegen und Brechen, Neuwahlen zu verhindern. Er fürchtet eine anhaltende gefährliche Lähmung Griechenlands. Doch bislang laufen die Bemühungen von Papoulias ins Leere.
"Welche Regierung auch immer vor oder nach Neuwahlen gebildet wird, sie wird das Sparprogramm nicht beenden. Sie kann aber auch nicht die Folgen dieses Sparprogrammes verhindern", meint zum Beispiel Kommunistenchefin Aleka Papariga.
Die Kommunisten, die Neo-Faschisten, die Nationalisten, die Linken - sie alle sind gegen die von der großen Koalition aus Pasok und Nea Dimokratia beschlossenen Sparmaßnahmen. So auch Nikos Michaloliakos, Führer der extrem rechten Partei der Goldenen Morgenröte. Er erklärte, seine Partei werde weder durch ein Vertrauensvotum noch durch Tolerierung eine Regierung unterstützen, die am Sparprogramm festhalte.
Tsipras: "Wir machen uns nicht zu Komplizen"
Aller Augen und Ohren richten sich in diesen entscheidenden Stunden auf Alexis Tsipras. Der 37-jährige Chef des radikalen Linksbündnisses Syriza könnte zum Königsmacher werden. Doch er lehnt das Sparprogramm mit Haut und Haaren ab. Er will an keiner Regierung mitwirken, er will sie auch nicht tolerieren. Nach dem gestrigen Treffen mit Präsident Papoulias begründet er seine strikte Ablehnung: "Nach dem Treffen ist klar, dass es nicht nur um die Zustimmung der Syriza geht, sondern um die Komplizenschaft an einem Verbrechen. Wir machen uns aber nicht zu Komplizen. Im Namen der Demokratie, der Souveränität des Volkes und der patriotischen Verantwortung: Bei einer solchen Komplizenschaft machen wir nicht mit."
Tsipras, so vermutet die griechische Presse heute fast einstimmig, spekuliert auf Neuwahlen. Seine Linksbündnis Syriza könnte laut Umfragen mit 28 Prozent rechnen, stärkste Kraft im Parlament werden und bekäme dann zusätzlich 50 Abgeordnete zugeschrieben.
72 Prozent der Griechen sind gegen Neuwahlen
Die Stimmung im Land ist total gespalten. 78 Prozent der Bürger sprechen sich repräsentativen Umfragen zufolge für den Verbleib im Euro aus. 72 Prozent wollen, dass jetzt und nicht erst nach Neuwahlen eine handlungsfähige Regierung gebildet wird. Gleichzeitig haben sich zwei Drittel der Wähler für Parteien ausgesprochen, die gegen das Sparprogramm sind. Ohne Sparen - kein neues Geld, so lautet verkürzt die Botschaft von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF). Griechenland droht die Pleite. Bleiben die Bemühungen von Präsident Papoulias erfolglos, kommt es Mitte Juni zu Neuwahlen.