Ein Mann wirft in Tel Aviv einen Umschlag mit dem Wahlzettel in eine Urne
FAQ

Nach der Wahl Patt in Israel - und nun?

Stand: 18.09.2019 16:33 Uhr

Zwei Politikern kommt in Israel nun eine besondere Bedeutung zu: Präsident Rivlin muss entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Ex-Verteidigungsminister Lieberman könnte der "Königsmacher" sein.

Von Mit Informationen von Tim Aßmann, ARD-Studio Tel Aviv

Wie viele Stimmen bekamen die beiden Lager?

Es war bereits die zweite Parlamentswahl in Israel innerhalb eines halben Jahres. Nötig geworden war sie, weil es Benjamin Netanyahu im April trotz einer Mehrheit im rechts-religiösen Lager nicht gelungen war, eine Koalition zu schmieden.

Auch nach dieser Wahl wird das kompliziert. Für eine Mehrheit im Parlament wären 61 Sitze nötig. Nach den bislang vorliegenden Ergebnissen liegen die beiden führenden Parteien gleichauf: Netanyahus Likud kommt ebenso auf 32 Sitze wie das Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Oppositionsführer Benny Gantz.

Zusammen mit seinen Verbündeten aus dem religiösen und ultranationalistischen Lager käme Likud auf 56 Sitze, Blau-Weiß und deren Verbündete auf 55. Für eine Mehrheit fehlen also fünf beziehungsweise sechs Sitze.

Wer könnte "Königsmacher" sein?

Eine Schlüsselrolle bekommt wohl Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Seine Partei "Unser Haus Israel" gewann laut den vorläufigen Ergebnissen mindestens neun Sitze.

"Unser Haus Israel" ist zwar - ebenso wie Netanyahus Likud - rechtsgerichtet. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied, der in der aktuellen israelischen Politik eine extrem große Rolle spielt: Netanyahu umgarnt die Ultraothodoxen, Lieberman lehnt eine Zusammenarbeit mit ihnen strikt ab und kämpft gegen einen zu starken Einfluss strengreligiöser Parteien auf gesellschaftspolitische Themen. Daran war auch im April die Bildung einer Koalition gescheitert. Konkreter Streitpunkt damals: Wehrdienst auch für strengreligiöse Juden.

Dass sie von der Wehrpflicht ausgenommen sind, dass viele Ultraorthodoxe nicht arbeiten, dass diese kinderreiche und häufig arme Bevölkerungsgruppe vom Sozialstaat profitiert und ihre Politiker gleichzeitig mit religiösen Regeln den Alltag der säkularen Mehrheit mitbestimmen wollen, stört viele Israelis, so die Einschätzung von Soziologin Larissa Remennick. Ganz besonders genervt seien aber die russisch-stämmigen jüdischen Einwanderer und ihre Nachkommen. Und eben die sind Liebermans Kernwählerschaft. Der 61-Jährige gehört selbst zu den russischsprachigen Einwanderern. Er lebt in einer israelischen Siedlung im besetzten Westjordanland.

Avigdor Lieberman

Lieberman könnte nun die Rolle des "Königsmachers" zufallen.

Wäre eine große Koalition eine Option?

Als "einzig wahre Lösung" sieht Lieberman die Bildung einer "breiten Einheitsregierung" mit seiner Partei, dem Likud und Blau-Weiß. Religiöse Parteien sollen davon ausdrücklich ausgeschlossen werden.

Auch Blau-Weiß-Chef Gantz spricht sich für eine große Koalition aus. Fraglich ist aber, wer sie anführen soll. Im Wahlkampf hatte Gantz deutlich gemacht, dass er eine Koalition mit Netanyahu an der Spitze ausschließt. Als Grund führt er die Korruptionsvorwürfe gegen Netanyahu an. Dem langjährigen Ministerpräsidenten droht eine Anklage.

Wer wird mit der Regierungsbildung beauftragt?

Präsident Reuven Rivlin berät in den kommenden Tagen mit allen Parteichefs und wird dann entscheiden, wer den Regierungsauftrag bekommt. Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Stimmen. Der hat dann vier Wochen Zeit, eine Regierungskoalition zu bilden.

Rivlin will aber vermeiden, dass Israel in Kürze schon wieder wählen muss. Deshalb vermuten Beobachter, dass er Gantz in jedem Fall den Vorzug geben könnte. Denn im Frühjahr war es Netanyahus Likud, der für die Auflösung des Parlaments stimmte - und damit verhinderte, dass Rivlin einem anderen Kandidaten den Auftrag für die Regierungsbildung geben konnte.

Möglich wäre auch, dass Rivlin es dem Likud und Blau-Weiß überlässt, selbst eine Vereinbarung auszuarbeiten. Orientieren könnten sie sich dabei an einer großen Koalition aus dem Jahre 1984. Damals wurde erst Schimon Peres von der Arbeitspartei zwei Jahre lang Regierungschef, danach übernahm Likud-Chef Izchak Schamir für zwei Jahre.

Warum dauert es so lange, bis ein offizielles Ergebnis vorliegt?

Es ist diesmal ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die offizielle Mitteilung der Ergebnisse durch den israelischen Wahlausschuss dauerte wegen besonderer Sorgfalt bei der Auszählung daher länger als üblich. Der Wahlausschuss teilt die Ergebnisse stets in Prozent mit. Danach kam Blau-Weiß nach der Auszählung von 63,1 Prozent der Stimmen auf 25,7, der Likud auf 25 Prozent. Medien rechnen das direkt in Mandate um.

Ein Teil der Stimmen, unter anderem die der Soldaten, wird erst am Donnerstag ausgezählt. Ein endgültiges Ergebnis soll erst in der kommenden Woche vorliegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die tagesschau am 18. September 2019 um 16:00 Uhr.