Italiens Agenda für die EU Mehr Matteo, weniger Merkel
Investieren statt Sparen: Mit einer dezidierten Anti-Merkel-Agenda startet Italien in die EU-Ratspräsidentschaft. Premier Renzi sieht sich trotz Wirtschaftskrise auf Augenhöhe mit der Kanzlerin: "Wir bringen ein starkes Italien nach Europa."
Die Zeiten, als Roms Ministerpräsidenten gesenkten Hauptes die europäische Bühne betraten, sind mit Matteo Renzi vorbei. Ausgestattet mit einem historisch guten Europawahl-Ergebnis von über 40 Prozent übernimmt der Italiener die EU-Ratspräsidentschaft.
"Wir bringen ein starkes Italien nach Europa", sagt der Sozialdemokrat, "denn das Land ist sich der Fähigkeiten seiner Unternehmer, seiner Arbeiter und seiner Menschen bewusst. Vielleicht hat uns in den vergangenen Jahren das Selbstbewusstsein gefehlt, uns als Protagonisten des europäischen Einigungsprozesses zu fühlen."
An Selbstvertrauen mangelt es Renzi nicht. Der 39-Jährige begegnet der deutschen Kanzlerin auf Augenhöhe. Er will Angela Merkel vom Kurs der reinen Sparpolitik abbringen und fordert mehr Flexibilität für Wachstum. Im EU Sprachgebrauch ist das ein Chiffre für mehr Ausgaben, mehr Investitionen, mehr Schulden.
"Die strenge Sparpolitik ist an ihre Grenzen gestoßen", meint Renzi. "Mir scheint, dass sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass ein neues Kapitel anfangen muss."
Pläne hat er viele, umgesetzt bislang sehr wenige
Die Aufbruchstimmung, die Renzi verbreitet, steht in keinem Verhältnis zur Lage im Land. Von Aufschwung keine Spur. Arbeitsplätze werden abgebaut, fast jeder zweite Jugendliche ist ohne Job. Italiens Wirtschaftsschwäche hat strukturelle Gründe und lässt sich mit EU-Investitionen allein kaum lösen. Das weiß Renzi und legt deshalb ein hohes Reformtempo vor: Verwaltungsreform, Justizreform, Arbeitsmarktreform – all das steht auf seiner Absichtsagenda. Umgesetzt hat er bislang aber wenig bis gar nichts.
Als erster Härtetest gilt eine Reform des Politikbetriebs, die Renzi in diesen Wochen durch das Parlament bringen will: Der italienische Senat, bislang auf Augenhöhe mit der Abgeordnetenkammer, soll de facto abgeschafft werden. Stattdessen soll es künftig nur noch eine Regionenkammer geben, eine Art schwächerer Bundesrat. Obwohl die Widerstände innerhalb und außerhalb seiner Partei groß sind, macht Renzi Druck: "Die Reformen sind keine Zusatzoption", sagt er. Will heißen: Sie sind aus seiner Sicht alternativlos.
Laut statt kleinlaut - so klingt Renzis Italien
Auf Renzis Prioritätenliste für die Ratspräsidentschaft steht das Thema Migration weit oben. Zigtausende Bootsflüchtlinge haben seit Jahresbeginn italienische Küsten erreicht. Das Land fühlt sich bei der Rettung und der Aufnahme dieser Menschen im Stich gelassen und fordert, die Lasten auf alle EU-Staaten zu verteilen.
"Europa regelt alles im Detail", kritisiert Renzi, "selbst den Thunfisch- oder Schwertfischfang. Brüssel schreibt dem Fischer in Kalabrien eine bestimmte Technik vor. Wenn Europa dann wegsieht, wenn anstatt der Fische Leichen im Meer schwimmen, dann ist das doch kein zivilisiertes Europa."
So klingt das neue, selbstbewusste Italien. Die Zeiten, als sich die Italiener für Silvio Berlusconi fremdschämen mussten, sind vorbei. Und auch die Zeiten, als man angesichts des gigantischen Schuldenbergs kleinlaut und bußfertig nach Brüssel reiste. Ein starkes Italien kann Europa nur gut tun. Denn an einem hat Matteo Renzi nie einen Zweifel gelassen: dass er ein überzeugter Europäer ist.